Dobermann

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Wie die Hunde

Mittlerweile ist Jan Kounen mit Filmen wie 39,90 und Coco Chanel & Igor Strawinsky in der Liga des eher gediegenen europäischen Arthouse-Kinos angekommen; das war aber nicht immer so. Früher war der in den Niederlanden geborene und seit langem in Frankreich wirkende Regisseur bedeutend wilder unterwegs und hat unter anderem neben etlichen Musikvideos und Werbefilmen 1997 einen Film gedreht, der für Furore sorgte und der lange Zeit nicht in Deutschland erhältlich war. Was angesichts der durchaus prominenten Besetzung mit Vincent Cassel, Monica Bellucci und Tcheky Karyo doch ein wenig verwundert. Dobermann, so der Name des Frühwerks, landete ab 1999 auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien und bekam erst vor kurzem eine offizielle Freigabe, so dass nun einer Veröffentlichung auf DVD nichts mehr im Wege steht.
Die Brutalität, für die Yann Le Pentrec (Vincent Cassel) alias „Der Dobermann“ in späteren Jahren einmal bekannt werden wird, ist ihm in gewisser Weise in die Wiege gelegt. Und zwar in Gestalt einer 357er Magnum, die einer der anwesenden Gangster dem Täufling in den Kinderwagen schmeißt – so entsteht Liebe auf den ersten Blick. Eine Überblendung schon ist das Baby von einst zum gefürchteten Dobermann herangereift, der gemeinsam mit seiner kriminellen Muse, der tauben Nat(halie) „la Gitane“ (Monica Belucci), auf Beutezug geht. Zur coolen Gang der beiden gehören außerdem der wenig menschenfreundliche Priester (Dominique Bettenfeld), der ständig unter Speed stehende Pitbull (Chick Ortega), der hypernervöse Manu (Romain Duris), Moustique (Jean-Claude Ayache) und der Transvestit Olivier (Stéphane Metzger), den alle nur Sonia nennen. Zwar ist die Polizei der Bande dicht auf den Fersen, doch immer wieder gelingt es dem Dobermann, sich dem Zugriff zu entziehen. Mit unerschütterlichem Selbstvertrauen und dem Glauben an die eigene Unverwundbarkeit ausgestattet, wird der eiskalte Engel immer dreister bei seinen Raubzügen und wirklich gefährlich wird es erst für ihn, als sich ihm der ebenso skrupellose Polizist Christini (Tcheky Karyo) an die Fersen heftet. Es kommt zu einem äußerst brutalen Showdown im „Hell’s Club“…

Jan Kounens Dobermann ist ein vollkommen verrückter Film, der vieles auf einmal sein will und etliches davon auch auf die Reihe bekommt: Locker und frech bedient sich Kounen, wo es ihm gerade gefällt und was ihm in den Sinn kommt. Sein Film ist Gangsterepos und komische Oper, drastische Komödie und „larger-than-life“-Real-Comic – und nicht zuletzt der Versuch, dem Universum Quentin Tarantinos einen europäischen Gegenentwurf vor die Füße zu schmettern. Vor allem ist Dobermann laut, dreckig, zynisch und gemein und damit definitiv nichts für Feingeister, sondern viel eher etwas für die Fraktion, die es gern ein wenig deutlicher hat.

Trotz all dieser Eigenschaften wundert einen die bisherige FSK-18-Indizierung schon ein wenig. Denn das, was Kounen zeigt, ist zumindest phänomenologisch längst links und rechts überholt worden. Viel eher scheint das Problem, dass die Prüfstelle mit dem Film hatte, in dessen moralischer Indifferenz und überaus pessimistischer Weltsicht zu liegen. Wer hier Gangster ist und wer ein Polizist, das die Methoden sind ebenso die gleichen wie die Bereitschaft, alle Regeln außer Kraft zu setzen und bedenkenlos, zu morden, zu foltern und hemmungslos dem eigenen (Tötungstrieb) zu folgen. Verbunden mit einer (äußerst gekonnten) Ästhetisierung der Gewalt, einer gewaltigen Dosis schwärzesten Humors, wirkt Dobermann streckenweise so, als habe man Tarantino eine europäische Version von Michael Manns Heat drehen lassen und ihm dabei die Aufgabe auferlegt, jegliche psychologische Tiefe radikal aus dem Film zu streichen.

Jan Kounens Erstling ist testosterongetriebenes Kino der reinen Oberfläche, ein brutaler und zynischer Comic für Erwachsene, der unter anderen Umständen durchaus das Zeug zum Kulthit gehabt hätte. In Frankreich jedenfalls erfreut sich der Film einer großen Beliebtheit.

Ergänzt wird die Limited Collector’s Edition von Capelight, die sowohl die DVD wie auch die BluRay-Scheibe des Films enthält, durch sehr ergiebiges Booklet und eine weitere DVD, die randvoll gepackt ist mit Extras.

Dobermann

Mittlerweile ist Jan Kounen mit Filmen wie „39,90“ und „Coco Chanel & Igor Strawinsky“ in der Liga des eher gediegenen europäischen Arthouse-Kinos angekommen; das war aber nicht immer so.
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