Divergent - Die Bestimmung (2014)

Eine Filmkritik von Gregor Torinus

Fachidioten und Querdenker

Im Jahre 2010 wurde in den USA mit Divergent der erste Roman der erst 23-jährigen Veronica Roth veröffentlicht. Das Buch war mehrere Wochen lang in der New York Times-Bestsellerliste und bereits 2012 erschien mit Die Bestimmung die deutsche Übersetzung. Divergent ist der erste Teil einer Trilogie, zu der noch Insurgent und Allegiant gehören. Der weltweite Erfolg des ersten Teils führte dazu, dass dieses Buch bereits verfilmt wurde, bevor die Autorin ihre Arbeit am dritten Teil abgeschlossen hatte. Das Ergebnis ist der jetzt in unsere Kinos kommende überlange Action-Sci-Fi-Blockbuster Die Bestimmung – Divergent. Doch wird der Film dem um ihn betriebenen Hype gerecht?

Im Chicago der nicht allzu fernen Zukunft ist die Gesellschaft zur Sicherung der öffentlichen Ordnung in fünf Fraktionen aufgeteilt. Jede Fraktion verkörpert eine menschliche Tugend. Ihr harmonisches Zusammenspiel soll den Frieden sichern. Es gibt die selbstlosen Altruan, die freimütigen Candor, die wissenden Ken, die friedfertigen Amite und die furchtlosen Ferox. Alle Sechzehnjährigen müssen einen Test machen der zeigt, zu welcher Fraktion sie gehören. Die endgültige Entscheidung darüber, in welcher Familie man den Rest seines Lebens verbringen wird, bleibt jedoch dem eigenen Gewissen überlassen. In der Realität entscheidet sich allerdings fast jeder für die im Test angezeigte Fraktion, welche in der Regel zugleich die der eigenen Eltern ist.

Beatrice (Shailene Woodley) stammt aus einer Altruan-Familie, fühlt sich jedoch mehr zu den wilden Ferox hingezogen. Zudem zeigt ihr Eignungstest keine eindeutige Bestimmung, sondern weist Beatrice als eine Unbestimmte aus. Somit passt sie in keine der von der Gesellschaft vorgesehenen Kategorien und gilt deshalb als eine Gefahr für die Ordnung. Ihre Prüferin erklärt Beatrice, dass sie dieses Ergebnis zu ihrem eigenen Schutz unbedingt geheim halten muss. Bei der späteren öffentlichen Entscheidung wählt Beatrice zum Leid ihrer Eltern tatsächlich die kämpferischen Ferox. Diese sind die Polizei und die Soldaten dieser Gesellschaft und absolvieren ein extrem hartes Ausbildungstraining. Nur wer dieses Training erfolgreich absolviert, gehört anschließend tatsächlich dazu. Die bei den Ferox nur noch Tris genannte Beatrice nimmt die Herausforderung auf. Noch ahnt sie nicht, wie sehr ihr Leben in Gefahr ist…

Die Bestimmung – Divergent wurde von dem Regisseur Neil Burger (Ohne Limit) gedreht. Die Romanvorlage wurde von den Drehbuchautoren Evan Daugherty und Vanessa Taylor für die große Leinwand adaptiert. In dem Presseheft zum Film steht wie bei Hollywoodfilmen üblich, wie glücklich jeder mit jedem bei dem Dreh war und was für ein überragendes Talent jeden einzelnen Beteiligten auszeichnet. Der alten Weisheit „Never change a winning team!“ zufolge, sollten deshalb alle wichtigen Kreativen auch bei der bereits geplanten Fortsetzung dabei sein. Deshalb befremdet es ein wenig, dass im besagten Presseheft nach der seitenlangen Lobhudelei plötzlich unkommentiert festgestellt wird, dass für Die Bestimmung – Insurgent sowohl die Drehbuchautoren, als auch der Regisseur ausgewechselt werden. Immerhin kann man sich hierzulande darüber freuen, dass der Regisseur des zweiten Teils der Deutsche Robert Schwentke (Flightplan – Ohne jede Spur) sein wird…

Immerhin kann festgehalten werden, dass Shailene Woodley (The Descendants) in der Rolle von Beatrice „Tris“ Prior eine echte Entdeckung ist. Die junge Schauspielerin besitzt nicht nur eine sehr natürliche Schönheit, sondern vermag auch der so sensiblen, wie entschlossenen Beatrice wahres Leben einzuhauchen. Entsprechendes lässt sich nicht wirklich von ihrem Co-Star Theo James (Underworld: Awakening) in der Rolle ihres Ausbilders und späteren Freundes „Four“ sagen. Bis es gegen Ende des überlangen Films zwischen Tris und Four zur Entwicklung einer zarten Romanze kommt, versieht Theo James seine Figur im wesentlichen mit genau einem Gesichtsausdruck. Sein verkniffener Blick soll sicherlich signalisieren, was für ein harter Hund Four ist. Nur leider wirkt es eher so, als hätte das Muskelpaket gerade eine Überdosis Anabolika intus. Sehr überzeugend ist dafür wiederum Kate Winslet als die ebenso smarte, wie durchtriebene Ken-Anführerin Jeanine Matthews.

In seiner Darstellung eines gemäßigten Futurismus setzt der Film erwartungsgemäß sehr auf CGI-Architekturen. Diese sind insgesamt erstaunlich gut gelungen. Auch kannten die Macher die Grenzen der Technik und zeigen Einstellungen, wie den anfänglichen Flug über ein zukünftiges halb zerstörtes Chicago nie zu lange. Computereffekte bestimmen auch die drogeninduzierten Traumsequenzen, welche die Protagonisten in verschiedenen Eignungstests und Trainingsprogrammen durchlaufen. Da gibt es interessante Ideen, die man in einem für Jugendliche gemachten Blockbuster nicht unbedingt erwarten würde, wie Traum-im Traum-im Traum-Verschachtelung. Für Kenner von Luis Buñuels Meisterwerk Der diskrete Charme der Bourgeosie ist solch eine Konstruktion freilich ein alter Hut. Aber bei der von Die Bestimmung – Divergent angepeilten Hauptzielgruppe von etwa 15-jährigen Mädchen dürften solche Vorkenntnisse eher dünn gesät sein.

Wie die meisten Science-Fiction-Filme, die nicht nur reine Action-Knaller sein wollen, ist auch Die Bestimmung – Divergent weniger ein Film über eine mögliche Zukunft, als ein überspitztes Bild für die heutige gesellschaftliche Gegenwart. Unschwer ist zu erkennen, dass die selbst aus Chicago stammende junge Autorin Veronica Roth in ihrem Buch die typischen Nöte junger Menschen in den heutigen USA verarbeitet hat. Dabei beginnt die Handlung zunächst mit dem universellen Thema der inneren und äußeren Ablösung von der eigenen Familie, ein Prozess der zu recht als äußerst befreiend gezeigt wird. Doch dann offenbart sich, dass die Wahlmöglichkeiten innerhalb dieser scheinbaren freien Welt äußerst beschränkt und dass Individualisten und Querdenker nicht erwünscht sind.

Hierauf verweist bereits der schlichte Originaltitel Divergent. Divergenz bezeichnet auch im Deutschen zunächst nur eine beliebigen Form der Abweichung. Es gibt jedoch auch den Begriff des divergenten Denkens, der bei uns oft schlicht als Querdenken bezeichnet wird. Genau diese Fähigkeit unterscheidet Menschen wie Beatrice von den meisten anderen. Sie ist in der Lage eine Sache von verschiedenen Seiten her zu betrachten und so kreative Lösungen für ein Problem zu finden. Dahingegen verfügt die Mehrheit der Menschen in ihrer Gesellschaft nur über genau einen bestimmten Blickwinkel. Dieser ist es auch, der darüber entscheidet, in welche Fraktion man gehört. Hier zeigt sich im Subtext erneut eine doppelte Begriffsbedeutung. Bei dem Wort „Fraktion“ denkt man wahrscheinlich zunächst an eine Fraktion im Sinne der Politik. Dies entspricht der Realität in Die Bestimmung – Divergent, wo die selbstlosen Altruan zugleich die regierende Kaste darstellen. Doch zunächst bezeichnet der Begriff „fraction“ schlicht einen Bruchteil vom Ganzen. Es läuft folglich darauf hinaus, dass normale und somit erwünschte Bürger Fachidioten zu sein haben, die nur Bruchteile vom Ganzen sehen, während ganzheitliche (Quer-)Denker in diesem System unerwünschte Abweichler sind.

Genau unter diesem Dilemma leidet unsere heutige westliche Kultur, die in den USA besonders radikal ausgeprägt ist. Für Generalisten wird der Platz eng und für Querdenker die Luft zunehmend dünn. Einstmals diente bei uns ein Universitätsstudium auch dazu mal ein wenig nach links und nach rechts zu gucken. Aber immer mehr degeneriert selbst solch ein Studium zu einer reinen Berufsausbildung, die im Schnelldurchlauf absolviert wird, um der Wirtschaft möglichst bald als fleißige Arbeitsbienen zur Verfügung zu stehen.

Leider findet Die Bestimmung – Divergent für sein so interessantes, wie brisantes Thema keine wirklich passende Form. Je deutlicher sich die unter der Oberfläche brodelnden Konflikte herauskristallisieren, desto mehr setzt die Handlung auf tumbe Action. Divergentes Denken zeigt sich alleine in Kampfhandlungen, eine echte Alternative zur aktuellen Gesellschaft ist nicht in Sicht. Man darf gespannt sein, wie es im zweiten Teil Die Bestimmung – Insurgent weitergeht.

Für ihr eigenes Leben hat die Autorin Veronica Roth zum Glück frühzeitig die richtigen Weichen gestellt. Ein Jahr vor der Veröffentlichung von Divergent schloss sie ihr Studium in dem Fach Kreatives Schreiben ab.
 

Divergent - Die Bestimmung (2014)

Im Jahre 2010 wurde in den USA mit „Divergent“ der erste Roman der erst 23-jährigen Veronica Roth veröffentlicht. Das Buch war mehrere Wochen lang in der New York Times-Bestsellerliste und bereits 2012 erschien mit „Die Bestimmung“ die deutsche Übersetzung. „Divergent“ ist der erste Teil einer Trilogie, zu der noch „Insurgent“ und „Allegiant“ gehören.

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