Die Zärtlichkeit der Wölfe (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Thorsten Hanisch

Ein dunkler Traum von einem menschlichen Wesen

Wer einige Zeit nach dem Anschauen an Die Zärtlichkeit der Wölfe zurückdenkt, dem wird wohl in erster Linie Kurt Raab in den Sinn kommen, der sich als Serienmörder Fritz Haarmann nicht nur in die Hälse seiner Opfer, sondern auch in die Köpfe der Zuschauer festbeißt. Die Handlung dieses lose auf dem realen Haarmann-Fall basierenden Films wurde zwar von den 1920er Jahren in die Nachkriegszeit verlegt, aber Raabs Figur mit ihrem bleichen, kahl geschorenen Kopf und den sanften, melancholischen, unergründlichen Augen scheint völlig losgekoppelt von irgendwelchen Jahreszahlen zu sein, ja, regelrecht durch Zeit und Raum zu schweben. Ein fleischgewordener dunkler Traum von einem menschlichen Wesen, das es aber schafft — und hier liegt der besondere Verdienst Raabs -, trotzdem innerhalb irdischer Sphären zu verweilen. Wenn Haarmann in gemütlicher Runde hockt und begeistert dem Gesang von Brigitte Mira lauscht, dann wächst uns dieses Wesens, so fern es auch gleichzeitig zu sein scheint, ein bisschen ans Herz. Eine hochkonzentrierte und extrem sensible Vorstellung, die man gar nicht gar nicht genug würdigen kann…
… die aber ebenso leicht problematisch für den Film an sich ist, der auch ansonsten mit sehenswerten schauspielerischen Leistungen auftrumpft und außerdem von Kamera-Ass Jürgen Jürges mit vielen ikonischen Bildern beschenkt wurde, sich aber nicht ganz von inhaltlichen Schwächen freimachen kann, beziehungsweise von Raab regelrecht erdrückt wird, denn der steht so sehr im Mittelpunkt, dass man darüber hinaus den Film ein wenig vergessen hat.

In erster Linie muss sich Lommels Werk die Frage gefallen lassen, wieso der Haarmann-Fall zur Vorlage dient: Für eine historische Aufarbeitung nimmt man sich zu viele Freiheiten, für ein Charakterportrait erhält man zuwenig Einsicht in die Figur, Haarmann lebt letztendlich nur von der großartigen, geradezu hypnotisierenden Vorstellung Raabs, der permanent eine Ahnung vermittelt, von dem, was in Haarmann vielleicht vorgeht. Die schemenhafte Anlage der Figur kann aber auch er nicht durchbrechen. Zumal werden auch größere soziale Zusammenhänge, die beim realen Fall noch eine wesentliche Rolle spielten, durch die zeitliche Verlagerung, komplett auf ein kleinbürgerliches Milieu eingedampft, das das Monster durch Faszination (er ist ja schon ein Netter, der Herr Haarmann) und gleichzeitigem Wegschauen erst erschaffen hat, wobei der Film paradoxerweise ebenso (völlig) fasziniert ist von seiner geisterhaften Hauptfigur, sich an ihm regelrecht festsaugt. Allerdings wird dank ausgefeilter Ästhetisierung hier wohl niemand wegschauen.

Der Quasi-Vampirthriller vom einstigen Rainer-Werner-Fassbinder-Weggefährten ist aber trotz allem natürlich mehr als sehenswert und darf sich zu Recht in die Riege großer deutscher Filme einreihen, gelungen ist auch die Blu-ray-Edition: Abgesehen vom, aber nur leicht, rauschigen Ton ist in technischer Hinsicht alles top of the pops. Der Bonus-Teil kann sich sehen lassen: In einem von Uwe Huber moderierten Audio Kommentar erzählt ein auskunftsfreudiger (aber auch ganz leicht verbittert wirkender) Ulli Lommel allerhand Wissenswertes über den Film, ein großer Teil davon wird allerdings leider wieder in der Featurette „Der zärtliche Wolf“ wiederholt. Sehr schön ist dafür aber das Interview mit dem sympathischen Rainer Will, der auf einnehmende Art und Weise unter anderem davon berichtet, wie’s denn so war, als 17-Jähriger von Raab gebissen zu werden und nackt vor der Kamera zu stehen. Eine kurze Doku über den echten Fritz Haarmann und eine umfangreiche Bildergallerie runden die insgesamt sehr schöne Veröffentlichung ab.

Die Zärtlichkeit der Wölfe (Blu-ray)

Wer einige Zeit nach dem Anschauen an „Die Zärtlichkeit der Wölfe“ zurückdenkt, dem wird wohl in erster Linie Kurt Raab in den Sinn kommen, der sich als Serienmörder Fritz Haarmann nicht nur in die Hälse seiner Opfer, sondern auch in die Köpfe der Zuschauer festbeißt.
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