Die Widerständigen

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Zu Unrecht vergessen

Dieses Projekt war längst überfällig: kein Spielfilm, sondern eine Dokumentation über die „Weiße Rose“. Die erfahrene Doku-Regisseurin Katrin Seybold hat mit 14 Zeitzeugen gesprochen. Sie zeichnet ein beeindruckend authentisches Bild von ungewöhnlich mutigen Menschen.
Um es gleich vorweg zu sagen: Dieses Zeitzeugnis ist keine Heldenverehrung. Und das ist gut so. Fernab von Schwarz-Weiß-Malerei versucht der Film, der subjektiv empfundenen Wirklichkeit so nahe zu kommen wie möglich. Dieses Verdienst ist kaum hoch genug einzuschätzen. Es ist buchstäblich die letzte Möglichkeit, 66 Jahre danach das Geschehen aus erster Quelle geschildert zu bekommen. Zwei der Interviewten sind inzwischen schon gestorben.

Eigentlich unglaublich, dass zuvor noch niemand auf die Idee kam, diejenigen vor die Kamera zu bitten, die ihr Leben im Widerstand gegen Hitler aufs Spiel setzten. Schließlich sind längst nicht alle aus dem Kreis um die Geschwister Sophie und Hans Scholl ermordet worden. Einige haben überlebt und die meisten von ihnen sind zu Unrecht vergessen worden. Bis zu diesem Film.

„Weiße Rose“ – so nannte sich eine Widerstandsgruppe um die Geschwister Scholl, Christoph Probst, Alexander Schmorell, Willi Graf und Professor Kurt Huber. Die meisten waren Studenten und von der einfachen humanistischen Einsicht getrieben, dass sich schuldig macht, wer schweigt. Mit per Post verschickten Flugblättern riefen sie die Deutschen auf, den Verbrechen der Nazis einen gewaltlosen Widerstand entgegenzusetzen. Das erste Flugblatt verschickte die Gruppe im Sommer 1942, das sechste und letzte im Februar 1943.

Die spannende und in der Rückschau wahrscheinlich nie endgültig zu beantwortende Frage ist die: Warum gab es so viele Millionen, die sich anpassten, und was unterschied die wenigen, die ihrem Gewissen folgten, von der Masse? Drei wichtige und auf ihre Weise erhellende Spielfilme gibt es zu diesem Thema: Die Weiße Rose von Paul Verhoeven aus dem Jahr 1982, Fünf letzte Tage von Percy Adlon aus demselben Jahr, und Sophie Scholl – Die letzten Tage von Marc Rothemund aus dem Jahr 2005. Aber wo die Spielhandlung notwendigerweise dramatisieren und vereinfachen muss, da setzen Die Widerständigen einen unverzichtbaren Kontrapunkt: indem sie die, die dabei waren, selbst zu Wort kommen lassen. Das ist ein berührendes, warmherziges und ehrliches Stück Zeitgeschichte.

Regisseurin Katrin Seybold macht das einzig Richtige: Sie vertraut ganz auf ihre Gesprächspartner, auf ihre Gesichter, auf ihre Worte, aber vor allem auf das Ungesagte und Unsagbare. Ergänzt werden die Gespräche lediglich durch die Fotos, die die Überlebenden wie auch die Ermordeten in ihren damaligen Hoffnungen lebendig werden lassen: so jung, so voller Pläne, so hingerissen von Ideen waren sie in dieser eigentlich trostlosen Zeit. Durch seine unspektakuläre Dramaturgie erzielt der Film einen intensiven Effekt: je einfacher die äußere Form, desto eindringlicher wird der tiefe Humanismus spürbar, den die Mutigen von damals noch heute auf eine ganz natürliche, unaufdringliche Weise verkörpern.

Dass sieben der 14 Interviewten Frauen sind, ist gewiss kein Zufall. Und sicher auch keine abstrakte Geschlechter-Ausgewogenheit. Es zeugt von der immer noch unterschätzten Bedeutung, die die weiblichen Mitglieder der „Weißen Rose“ für den Erfolg der Gruppe hatten. Und es beweist einmal mehr, wie wichtig diese Dokumentation ist, die den Vergessenen und Unterschätzten ihre Würde zurückgibt. Bevor es endgültig zu spät ist.

Die Widerständigen

Dieses Projekt war längst überfällig: kein Spielfilm, sondern eine Dokumentation über die „Weiße Rose“. Die erfahrene Doku-Regisseurin Katrin Seybold hat mit 14 Zeitzeugen gesprochen.
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