Die Wahrheit über Dracula

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mittwoch, 12. November 2014, EinsFestival, 23:50 Uhr

Spätestens seit dem Erfolg der Twilight Buch- und Filmserie feiern die blutsaugenden Vampire im Kino und anderswo ihre schaurig-schöne Wiederauferstehung, sorgen für wohligen Grusel und bringen den Kids sogar wie im Falle von Stephenie Meyers Romanreihe die Freuden der sexuellen Enthaltsamkeit bei. Gerade eben sind zwei neue Bücher erschienen, die sich kultur- und filmwissenschaftlich mit den transsilvanischen Blutsaugern befassen. Und nun hat sich auch noch der Dokumentarfilmer Stanislaw Mucha, spätestens seit Absolut Warhola ein ausgewiesener Spezialist in Sachen osteuropäischer Skurrilitäten, auf die Spuren des Urvaters aller menschlichen Vampire gemacht.
Der heißt, wie sich mittlerweile herumgesprochen haben dürfte, Vlad III. (1431-1476), war Woiwode der Walachei und verdiente sich wegen seiner Vorliebe für die Tötungsart des Pfählens den Beinamen „Țepeș“. Danach beginnen aber schon die Missverständnisse, denn Vlads zweiter Beiname „Draculea“ beruhte auf der Mitgliedschaft seines Vaters im katholischen Drachenorden. Da im Rumänischen „Dracul“ aber auch Teufel bedeutet, wurde der zu Lebzeiten gleichermaßen geschätzte wie gefürchtete Vlad somit gerne auch mal als Sohn des Teufels angesehen wurde. Im Laufe der Jahrhunderte verwandelten die durch viele Generationen weitergegebenen Berichte über Vlad III. die historische Person immer mehr in eine Mischung aus Monster und Heldengestalt. Vor allem in Rumänien gilt Vlad noch heute als Inbegriff eines gerechten Herrschers, der sich auf die Seite der kleinen Leute stellte und rigoros gegen ausländische Invasoren und gegen die Korruption vorging.

Bei aller Faszination für Vlad, den Pfähler – die Spurensuche nach einem seit vielen Jahrhunderten verstorbenen rumänischen Fürsten ist bei aller Wirkmächtigkeit nicht unbedingt per se ein faszinierendes Thema, weil man hier schnell in historische Faktenhuberei abgleitet und Experten ein Forum bietet, um widerstreitende Thesen vom Stapel zu lassen. Stanislaw Mucha aber benutzt die Suche nach der Wahrheit hinter dem Mythos vor allem als Katalysator, um Menschen aufzusuchen, die über die Geschichte und die Geschichte(n) um Vlad nach und nach ihr eigenes Leben enthüllen.

Schnell wird klar, dass Muchas sich weniger für das vorherrschende Bild der Kunstfigur Graf Dracula interessiert, sondern vielmehr über den Umweg Vlad III. ein Porträt der heutigen Gesellschaft Rumäniens zeichnen will. Dies ist insbesondere deshalb interessant, da man Transsilvanien auch heute noch den Einfluss der deutschen Kultur spürt: In Siebenbürgen sprechen vor allem die Alten noch deutsch und fühlen sich dem Land ihrer Vorfahren verbunden – was nicht nur die Kommunikation innerhalb des Filmes vereinfacht, sondern auch dazu beigetragen haben dürfte, dass die Befragten dem Filmteam offener und auskunftsfreudiger gegenüber traten.

Auf diese Weise entsteht ein höchst lebendiges Kaleidoskop von Erzählungen und Bilder, die zwischen Tragik, manchmal unfreiwilliger Komik und immer wieder fein dosierter Ironie einen ganz eigenen Blick auf eine Landschaft freigeben, Mitunter hat man den Eindruck, als befinde man sich in einem Themenpark, in dem sich nahezu alle Klischees über Siebenbürgen ein fröhliches Stelldichein geben. Und doch merkt man Muchas Sympathie für die Menschen, die er auf seiner Reise getroffen hat und mit denen er spricht. Als Zuschauer ist man mit ihm berührt, wenn ein alter Pfarrer davon berichtet, dass er die Messe mittlerweile alleine liest, weil es niemandem mehr gibt, der den Gottesdienst noch besuchen könnte. Man schmunzelt mit ihm über den Graphologen, der ohne zu wissen, um wen es sich handelt, eine Handschrift von Vlad III analysieren muss und letztendlich vor allem etwas über sein eigenes schwieriges Metier verrät. Man erschrickt über durchaus ernst gemeinte Aussagen, dass es heute so einen wie den Pfähler wieder geben müsste, um Ordnung zu schaffen in einem Land, dessen Bewohner das Ende der Herrschaft Nicolae Ceausescus nie wirklich für sich nutzen konnten. Und man schmunzelt oder grinst über all den Dracula-Kitsch, über die eher unbeholfenen Versuche, aus dem Mythos um den grausamen Fürsten so etwas wie eine Tourismus-Industrie aufzubauen.

Was Muchas überaus unterhaltsamer Film deutlich macht, ist vor allem eines: Für die Wahrheit über Vlad III. interessieren sich allenfalls eine Handvoll Experten – für den Rest der Menschen ist er Projektionsfläche, Symbolfigur, Held oder Unhold. Und ein willkommener Anlass für ein Gespräch, für das Nachdenken über die eigene Lage und die des Landes. Wer sich also vor allem für den Mythos um den Grafen Dracula interessiert, der dürfte unter Umständen von diesem Film ein wenig enttäuscht sein. Wer aber einen intimen Einblick in die Befindlichkeiten der Menschen in Teilen Rumäniens erhalten möchte und zudem das nötige Gespür besitzt für den hintersinnigen und schlitzohrigen Humor Stanislaw Muchas, der ist hier goldrichtig aufgehoben.

Die Wahrheit über Dracula

Spätestens seit dem Erfolg der „Twilight“ Buch- und Filmserie feiern die blutsaugenden Vampire im Kino und anderswo ihre schaurig-schöne Wiederauferstehung, sorgen für wohligen Grusel und bringen den Kids sogar wie im Falle von Stephenie Meyers Romanreihe die Freuden der sexuellen Enthaltsamkeit bei.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen