Die Vermessung der Welt

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zwei Popstars der objektiven Wissenschaft

Eine Literaturverfilmung soll die Handlung des Romans auf das Wesentliche verdichten und seine Atmosphäre mit ihren eigenen Mitteln widerspiegeln. Im Idealfall schafft sie es sogar, den Glanz der geschätzten Vorlage – hier der allseits gefeierte, sieben Jahre nach seinem Erscheinen zur Lektüre an höheren Schulen gehörende Roman von Daniel Kehlmann – zu vermehren. Das gelingt Regisseur Detlev Buck. Auch mit der Unterstützung des Autors, der das Drehbuch maßgeblich mitverfasste, inszeniert er Alexander von Humboldt (Albrecht Abraham Schuch) und Carl Friedrich Gauß (Florian David Fitz) als historische Popstars. Der ironisch-unschuldige Witz der fiktiv kolorierten Doppelbiografie wird noch verstärkt. In den Dienst dieser unterhaltsamen, entstaubten Würdigung zweier deutscher Jahrhundertgrößen stellt sich auch die geglückte Verbindung von Kostümfilm und 3-D-Technik.
Ende des 18. Jahrhunderts wachsen zwei deutsche Knaben heran, die sich anschicken, die Welt in wenigen Jahrzehnten mit revolutionären Entdeckungen zu verblüffen. Alexander von Humboldt (als Kind: Aaron Denkel) büffelt nicht so gerne Latein im Schatten seines begabteren Bruders, sondern betrachtet lieber draußen Kröten mit der Lupe. Die Mutter (Sunnyi Melles) überwacht strickend den teuren Privatunterricht und geht beim Herzog (Michael Maertens) ein und aus. Dort bekommt Alexander erstmals den kleinen Carl Friedrich Gauß (Lennart Hänsel) zu Gesicht. Der Junge aus ärmlichen Verhältnissen erscheint in Begleitung seines Lehrers, den er mit einer Formel aus der höheren Mathematik in Erstaunen versetzt hat, um ein Stipendium zu erbitten. Die Aufforderung des Herzogs, er solle etwas vorrechnen, kontert das Kind mit der trockenen Bemerkung, „Einige der größten Mathematiker waren sehr schwach im Rechnen“, worauf der Herzog einen Hustenanfall erleidet.

Die komische Zuspitzung dient dem Film ganz im Geiste des Originals dazu, die beiden Freigeister aus ihrer Umgebung herauszuheben. So angesehen der Naturforscher und Universalgelehrte Humboldt und der Mathematiker Gauß schon zu Lebzeiten sind, im Umgang mit ihren Zeitgenossen fallen sie auch als sonderbar auf. Humboldt schleppt seinen französischen Reisegefährten Aimé Bonpland (Jérémy Kapone) zu südamerikanischen Wasserfällen, kannibalischen Indianerstämmen und auf den Sechstausender Chimborazo, einem Höhenweltrekord zur damaligen Zeit. In Frack und Zylinder stapft er wie im Rausch durch die Wildnis, ein früher Extrem-Abenteurer. Bald schon nervt er Bonpland mit seiner manchmal sehr deplatzierten preußischen Disziplin und Korrektheit. Seine leidenschaftlichen Überzeugungen entlarven aber auch oft ihm widersprechende Ansichten als schrecklich rückständig. Mehr noch als im Buch, gilt das auch für den unverblümt austeilenden Gauß. Und wenn seine Studenten dem an der Tafel stehenden Mathematikprofessor verkünden, sie zögen jetzt lieber in den Kampf, liegt bereits in seinem orientierungslosen, stummen Blick ein vernichtendes Urteil.

Gauß bekommt knisternde Dialoge mit seiner großen Liebe Johanna (Vicky Krieps), in die Florian David Fitz auf berührende Weise den Gefühlsaufruhr des einsamen Denkers packt. Im thematisch passenden Wechsel zum Schauplatz am anderen Ende der Welt plustert sich Humboldt empört auf, weil Bonpland nicht wie er selbst die Gesellschaft junger Frauen verschmäht.

Der Film lacht aus heutiger Sicht darüber, wie abwegig viele Ansichten der beiden Gelehrten wirken, als sie zum ersten Mal geäußert werden. Weder Aberglauben, noch gesellschaftliche Konventionen können ihren nur den objektiven Fakten verpflichteten Erkenntnisdrang zähmen. Seinen beschwingten Humor schraubt der Film an einigen, zum Glück nur wenigen Stellen bis ins Groteske: Manche Nebenfiguren wie Humboldts Mutter erhalten schrille, überdrehte Auftritte und die 3-D-Optik wird zu einem oder zwei neckischen Spielchen mit in den Zuschauerraum ragenden Körperteilen genutzt. Meistens jedoch wirkt die Tiefendimension der Bilder, etwa in der Wildnis Südamerikas, unaufdringlich und gewinnbringend zugleich.

Die Vermessung der Welt

Eine Literaturverfilmung soll die Handlung des Romans auf das Wesentliche verdichten und seine Atmosphäre mit ihren eigenen Mitteln widerspiegeln. Im Idealfall schafft sie es sogar, den Glanz der geschätzten Vorlage – hier der allseits gefeierte, sieben Jahre nach seinem Erscheinen zur Lektüre an höheren Schulen gehörende Roman von Daniel Kehlmann – zu vermehren. Das gelingt Regisseur Detlev Buck.
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Meinungen

Bodo · 31.12.2012

Danke Detlev Buck !
Der Film beginnt mit einer 3D Steppen Aufnahme und ich denke noch: WOW. Endlich mal richtiges 3D.
Danach bin ich nur noch glücklich.

Der schönste Film, den ich in meinem Leben gesehen habe.

Detlev Buck versteht es schon immer, in einfachen Szenen klare und tiefgreifende, gut durchdachte Wahrheiten zu verpacken. In diesem Film ist es alleine schon durch die Thematik gegeben, dass sein Kunstwerk wie das Auspacken eines riesigen Geschenkes reiner Freude ist, inklusive Tränen der Freude und des tief Berührt sein.

Manu · 30.12.2012

... total enttäuscht verließ ich diesen Film...
Leider hatte ich das Buch auch nicht gelesen, so daß ich die vielen abrupten Szenenwechsel der erwachsen Männer immer erst verzögert aufnahm. Wenn man dachte, es geschieht etwas im Urwald .. war man plötzlich wieder in der historische Stadt bei Gauß ... und umgekehrt.
Meinerseits keine Empfehlung, sich diesen Film anzusehen ..
ich fand ihn nicht mal witzig!
Einzig die Schulszenen wirkten (für Ältere) erschreckend realistisch und erinnerten an die früheren Zeiten ...

Doch die Geschmäcker sind ja bekanntlich verschieden ...

Dr. Hintergräber · 20.11.2012

Wenn das Buch so wie der Film gewesen wäre, hätte ich nach den ersten Seiten aufgehört zu lesen.
Fazit: Ein teilweise peinliches Machwerk.

Hans Magdeburg · 07.11.2012

Als Kenner des Buches und auch der Lebensgeschichte von Alexander von Humboldt finde ich die Verfilmung hervorragend, mir sind Lücken im Handlungsaufbau nicht aufgefallen. Für Nichtkenner sollte der Film eine Information wert sein, um sich über die damaligen Bedingungen des Schöpfens von Wissen ein Bild zu machen!

Someone · 01.11.2012

Da ich das Buch nicht gelesen habe, konnte ich wohl mit vielen Szenen nichts anfangen. Na ja, denke jedenfalls, ein Film sollte immer für sich stehen. Und dieser hier war total langweilig: Aneinanderreihung unbedeutender Situationen. Überhaupt kein Spannungsbogen. Witz kam selten auf. Mich hat Humboldt nur genervt.

wignanek-hp · 29.10.2012

Der Film ist ein typischer Fan-Film. Wer den Roman nicht gelesen hat, kann mit bestimmten Szenen nur bedingt etwas anfangen. Dann wirkt auch die ironische Sichtweise merkwürdig. Aber diese ist ja gewollt. Da sind zwei Figuren, denen Kehlmann auf eine bestimmte Art und Weise Leben einhaucht hat und Buck hat das gekonnt umgesetzt. Kehlmann hat keine historische Abhandlung über Gauß und Humboldt geschrieben. Insofern sind die Vorwürfe, er würde die Geschichte verfälschen, Humbug. Meine anfänglichen Befürchtungen – gegenüber deutschen Filmen über historische Themen – waren unbegründet. Das Ambiente stimmt, Kehlmanns Ironie sitzt. Die Schauspieler sind authentisch. Wer einen herkömmlichen Abenteuerfilm erwartet hat, wird enttäuscht. Aber das war wohl weder die Intention des Autors noch des Regisseurs.

sigrid · 28.10.2012

Sehr Witzig! Das Buch ist noch etwas besser, weil s einige Seitenhiebe mehr enthält.

dgu3000 · 28.10.2012

Ups - ich glaube, ich habe einen anderen Film gesehen. Einen, der langweilig, gewollt komisch und cartoonhaft dahergekommen ist. Es wurden Szenen gezeigt, woraus nicht hervorging, warum der Akteur (egal ob Gauß oder Humbolt) das gerade macht bzw. was bestimmten Handlungen vorausgegangen ist. Schade, eigentlich wollte ich das Buch auch noch lesen - das werde ich mir nach diesem Film sparen.