Die Nonne (1966)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein tragisches Leben in Willkür und Verzweiflung

Es ist ein umsichtiger bis geradezu vorsichtiger Vorspann, der dem Drama Die Nonne von Jacques Rivette vorausgeschickt wird. Zunächst wird der Zuschauer darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Film um eine frei erfundene Geschichte basierend auf dem kontroversen Brief-Roman La religieuse des französischen Philosophen und Schriftstellers Denis Diderot handelt, mit der Aufforderung, diesen mit seinem historischen Hintergrund als fiktiv und nicht etwa als authentisch aufzufassen und Generalisierungen in Bezug auf das damalige Klosterleben zu vermeiden. Es folgt eine kleine Einführung zu Diderots literarischer Vorlage und deren Motivation, und dann erst beginnt der Film, der unmittelbar nach seiner Premiere bei den Filmfestspielen von Cannes 1966 zunächst unter dem Vorwurf der Verletzung „katholischer Gefühle“ von der französischen Filmzensur verboten wurde und erst im folgenden Jahr in die Kinos kam.
Feierlich wie eine Braut gekleidet verweigert die sechzehnjährige Suzanne Simonin (Anna Karina) im Paris des Jahres 1757 bei ihrer Aufnahmezeremonie zum Eintritt ins Kloster, dem Gelübde gemäß Keuschheit, Armut und Gehorsam zu schwören, zur Missbilligung des Priesters und ihrer Eltern, die sich unter den Gästen der Zeremonie befinden. Sie sei nur unter Zwang erschienen und fühle sich nicht zum Klosterleben berufen, gesteht Suzanne, deren Weigerung jedoch fruchtlos bleibt. Denn ihre Mutter (Christiane Lénier) lässt sie unumwunden wissen, dass sie das Kind einer außerehelichen Affäre sei, die Mitgift ihrer verheirateten Schwestern bereits die Mittel der Familie erschöpft hätten und es nun nur noch für den Eintritt ins Kloster reiche, mit dem allein Suzanne die Bürde ihrer Herkunft tilgen könne. So führt die junge Frau schließlich doch ein Leben als Ordensschwester, das im Laufe der Jahre zwischen Verachtung, Verführung und stetiger Verzweiflung oszilliert.

Dass das Thema eines erzwungenen Daseins als Nonne auch für eine fromme Frau, die Suzanne eindeutig ist, sowie die intensive Darstellung ihrer wechselhaften Passion in zwei extrem unterschiedlichen Klöstern damals wie heute eine gewisse Brisanz aufweist, die sich auch auf die einstige Haltung der Kirche zu derartigen Konstellationen bezieht, ist offensichtlich. Doch der Vorwurf der Verletzung religiöser Empfindungen, der damals bereits den Roman Diderots betraf, ist im Fall von Die Nonne wohl präventiv zu erwarten, wie auch die Einführung von Regisseur Jacques Rivette nahe legt, destilliert allerdings nach Sichtung des differenziert gestalteten Dramas vollends. Denn hier geht es einerseits um die Wahrhaftigkeit von Berufung und andererseits um die Aufdeckung jener gesellschaftspolitischen Zusammenhänge, die das persönliche Schicksal der jungen Suzanne flankieren, und nicht zuletzt um die juristische Komponente, die dieser Fall aufwirft.

Anna Karina als Suzanne Simonin vermag es mit einiger Vielschichtigkeit und Intensität, die drastischen Gefühlslagen und inneren wie äußeren Nöte der unfreiwilligen Nonne zum Ausdruck zu bringen, die zwar im Verlauf der Geschichte Fürsprecher, aber keine wahrhaft aufrichtige und effektive Unterstützung erhält. Das Unrecht, das ihr unverschuldet widerfährt und sie zu einem Dasein in Abhängigkeit und Willkür verurteilt, repräsentiert über dieses markante Einzelschicksal hinaus das Elend etlicher Frauen nicht nur im Paris des 18. Jahrhunderts, sondern auch Anderswo und zu anderen Zeiten, die auf Grund ihrer sozialen Stellung des Rechts auf ein freies Leben beraubt wurden und werden, ob im Gefängnis des Klosters oder unter ähnlichen Bedingungen. So stellt Die Nonne auch eine düstere Parabel auf derartige Zwangssituationen im Allgemeinen dar, und Regisseur Jacques Rivette empört sich in religionsphilosphischer Hinsicht ganz besonders darüber, dass derlei umfassende Schikanen im Namen des Glaubens, der Kirche und letztlich Gottes geschehen. Im Gegensatz zu Diderot, der seine Suzanne verzweifelt überleben lässt, verpasst der glühende Theoretiker der Nouvelle Vague seiner tragischen Heldin ein ein abruptes Ende, dessen drastische Visualisierung ein signifikantes Stilmittel des Filmischen transportiert.

Die Nonne (1966)

Es ist ein umsichtiger bis geradezu vorsichtiger Vorspann, der dem Drama „Die Nonne“ von Jacques Rivette vorausgeschickt wird. Zunächst wird der Zuschauer darauf hingewiesen, dass es sich bei dem Film um eine frei erfundene Geschichte basierend auf dem kontroversen Brief-Roman „La religieuse“ des französischen Philosophen und Schriftstellers Denis Diderot handelt, mit der Aufforderung, diesen mit seinem historischen Hintergrund als fiktiv und nicht etwa als authentisch aufzufassen und Generalisierungen in Bezug auf das damalige Klosterleben zu vermeiden.
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