Die Nächte der Cabiria

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Zauberhafte Giulietta Masina

Da spaziert eine junge Frau an einem sonnigen Tag mit ihrem Liebsten ausgelassen durch eine ländliche Region an der Peripherie Roms unweit des Tibers. Das Paar scherzt und balgt miteinander, doch die scheinbare Idylle vor der nicht allzu fernen Kulisse der römischen Armutsghettos findet ein jähes Ende, als der Mann seine Freundin schlichtweg in den Fluss schubst, nachdem er ihr unvermittelt die Handtasche entrissen hat. Vor Schreck und Not schreiend kämpft sie eine Weile darum, den Kopf über Wasser zu halten, bis sie schließlich untertaucht und kurz darauf von ein paar Kindern aus dem Wasser gezogen wird. Kaum wieder bei Bewusstsein und ihre Retter von sich stoßend ruft sie nach ihrem Girogio (Franco Fabrizi), der allerdings mit den 40 000 Lire aus der Handtasche verschwunden bleibt. Nichtsdestotrotz wartet Maria, genannt Cabiria (Giulietta Masina), in ihrem kleinen Haus schlaflos bis in die Nacht hinein so hoffnungsvoll wie vergeblich auf seine Rückkehr, bis sie endlich realisiert, dass er sie brutal betrogen hat.

Doch das Leben geht weiter, und bald trifft sich Cabiria wieder allabendlich mit ihren Kolleginnen Wanda (Franca Marzi), Marisa (María Luisa Rolando), Rosy (Loretta Capitoli) und den anderen am Straßenstrich, um ihr bescheidenes, aber unabhängiges Leben zu finanzieren. Eines Nachts landet sie gar mit dem populären Schauspieler Alberto Lazzari (Amedeo Nazzari), der sich in melodramatischer Manier mit seiner glamourösen Freundin Jessy (Dorian Gray) gestritten hat, in dessen luxuriöser Villa. Doch als Jessy in der Nacht zurückkehrt, wird Cabiria kurzerhand eingesperrt und muss sich später heimlich hinausschleichen, und das Intermezzo in gehobenen Kreisen wird von den anderen Huren nur höhnisch verspottet. Allein die üppige Wanda erweist sich immer wieder als tröstliche Freundin, die auch den turbulenten Stimmungsschwankungen Cabirias standhält, deren Schicksal das einer unverbesserlichen Verliererin zu sein scheint.

Eines Abends, nachdem sie beim Besuch eines Varietés vom Hynotiseur fürs Publikum zur Witzfigur veralbert wurde, lernt Cabiria den feinfühlig auftretenden Oscar (François Périer) kennen, mit dem sie nach anfänglichem Zögern bald regelmäßig ausgeht. Ähnlich wie sie selbst ist der dezente, einsam erscheinende Mann offensichtlich auf der Suche nach Verbundenheit und Zuneigung, und als Oscar Cabiria nach einer Weile bittet, seine Frau zu werden, verkauft diese überglücklich ihr komplettes Hab und Gut samt Häuschen und verabschiedet sich von der tieftraurigen Wanda, um allein mit einem Koffer sowie einer beträchtlichen Barschaft mit Oscar in ein neues Leben zu starten …

Mit wunderbaren Schwarzweißbildern voll kruder, kraftvoller Poesie hat Federico Fellini Die Nächte der Cabiria inszeniert, ein existentiell berührendes Drama über die unerschütterliche Sehnsucht der menschlichen Kreatur nach geborgener Gesellschaft und aufrichtiger Liebe sowie gleichzeitig ein Porträt ebenso liebenswerter wie schrulliger Randgestalten der bürgerlichen Existenz. Im Zentrum der episodisch gestalteten Geschichte steht die labile, und letztlich doch wieder auf ihre ganz eigene Art konsistente Figur der Hure Cabiria, deren ungezähmte Lebensfreude zu tiefer Verzweiflung zu gerinnen vermag – und umgekehrt. Sensationell authentisch und lebendig kommt das Schauspiel der schlichtweg begnadeten Giulietta Masina daher, die dafür neben anderen Auszeichnungen bei den Internationalen Filmfestspielen von Cannes, wo der Film 1957 uraufgeführt wurde, als Beste Darstellerin geehrt wurde. Im Jahre darauf erhielt Die Nächte der Cabiria den Academy Award als Bester Fremdsprachiger Film, und Federico Fellini konnte mit diesem ungewöhnlichen Werk erneut mit seiner grandiosen Gattin als Hauptdarstellerin an den Erfolg des legendären Dramas La Strada von 1954 anknüpfen, der ebenfalls mit einem Oscar in dieser Kategorie ausgezeichnet wurde.

Schonungsloser Realismus, deftiger Humor, tiefgründige Melancholie sowie eine inbrünstige, dennoch problematisierte Religiosität finden in Die Nächte der Cabiria Ausdruck innerhalb einer beeindruckenden Filmsprache jenseits moralischer Wertungen, die allerdings ihre Sympathien für die Gestrandeten der Gesellschaft deutlich transportiert. Der tapfere Kampf der Cabiria um ein würdiges Leben trotz aller niederschmetternden Einflüsse und Einbrüche findet am Ende zu einer gleichermaßen schlichten, rührenden und unerschütterlichen Symbolkraft, die sich in einem unbeschreiblichen, einzigartigen Lächeln konzentriert, als sanfte Waffe gegen einen Moloch an Verzweiflungen.
 

Die Nächte der Cabiria

Da spaziert eine junge Frau an einem sonnigen Tag mit ihrem Liebsten ausgelassen durch eine ländliche Region an der Peripherie Roms unweit des Tibers.

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