Die Konkurrenten - Russlands Wunderkinder 2

Eine Filmkritik von Lida Bach

Das Drama des begabten Kindes

„Es ist, als stünde man in seinem eigenen Schatten.“ Als einzige spricht Irina Kolesnitschenko die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen offen aus. Vor zehn Jahren war die hochbegabte Musikerin eine gefeierte Konzertpianistin. Eines von „Russlands Wunderkindern“, welchen die Regisseurin Irene Langemann ihren hintergründigen gleichnamigen Dokumentarfilm widmete. Große Erwartungen begleitet die kleinen Musikgenies, — Erwartungen, die eine nach der anderen enttäuscht wurden. Mit Ende Zwanzig zählt Irina zu den Ausgedienten in der erbarmungslosen Welt der Konzertmusik. Eine neue Elite kleiner musikalischer Genies drängt nach. Kinder, wie sie Irene Langemann in ihrem im Jahr 2000 entstandenen Werk Russlands Wunderkinder vorstellte. Zehn Jahre später trifft die Dokumentarfilmerin ihre Protagonisten wieder. Aus den vier ehemaligen Wunderkindern sind Die Konkurrenten geworden. Russlands Wunderkinder 2 begleitet sie auf dem steinigen Weg zum Erfolg – oder der Niederlage.
Ein Künstler fände schon in seinem Schaffen Erfüllung, glaubt Elena. Doch Irina, Dimitri, Nikita und sie sind Konzertpianisten. Erste Kompositionen haben sie bereits im frühen Kindesalter verfasst. Doch ihre Karrieren fußen auf dem musikalischen Vortag ihres Spiels. Ihre Hochbegabung bewahrt die Protagonisten nicht vor dem Wettbewerb in der Berufswelt, welchem sich ihre Altersgenossen aussetzen müssen, sondern verschärft sie. Ihr ganzes bisheriges Leben haben „Russlands Wunderkinder“ der Musik gewidmet. Indirekt vermittelt sich in dem verzweifelten Streben der jungen Musiker die Beschränkung, welche ihr Talent für ihre Lebensplanung mit sich bringt. Eine andere berufliche Laufbahn steht ihnen nicht offen. Ein Scheitern als Pianist bedeutet Scheitern im Leben. Die vier ehemaligen Schüler der Musikschule des Moskauer Konservatoriums sind vier von unzähligen jungen Begabten, die auf internationalen Wettbewerben gegeneinander antreten. Ein Platz an der Sonne, vor Publikum. Der Ehrgeiz der Pianisten ist keine verkappte Ruhmsucht, sondern Existenzkampf. Dimitri lebt bei seiner Mutter, weil er sich keine eigene Wohnung leisten kann. Der Gedanke, bei einem der Wettbewerbe einen Flügel zu gewinnen, treibt Irina Tränen in die Augen. Sogar der Papst lauschte ihrem Klavierspiel, als sie ein kleines Mädchen war. An einem eigenen Flügel üben konnte die junge Frau, welche die Beziehung zwischen Pianist und Instrument fast zärtlich umschreibt, nie. Ob die Konzerteinkünfte für ein Piano nicht ausreichten oder anderweitig verwendet wurden, bleibt offen. Nur, dass Üben für sie stundenlanges Anstehen vor dem Übungsraum einer Musikschule bedeutet, erzählt Irina. Nicht nur der immanente Leistungsdruck trägt dazu bei, die jungen Künstler ihr Talent auch als Last empfinden zu lassen.

Elena wiederum muss ihre kleine Tochter durchbringen. Dass sie als Mutter überhaupt ihre Karriere fortsetzen möchte, gilt in der Branche bereits als außergewöhnlich. Lieber hätte sie eine normale Kindheit gehabt, erzählt Elena. Dann könnte sie sich über ihre Erfolge als Erwachsene freuen. So quält sie das Wissen, ihre große Zeit hinter sich zu haben. Ihre schärfsten Konkurrenten sind die Protagonisten selbst: die kleinen Musikgenies, die Langemann in ihrem Dokumentarfilm Russlands Wunderkinder begleitete. Die konzentrierten kleinen Erwachsenen beobachten ihre heutigen alter egos aus der Vergangenheit, noch kritischer als die Juries auf den Wettbewerben es tun. Gut sein reiche nicht, sagt einer der Juroren. Gut seien so viele. Grandios, wunderbar, am besten – und trotzdem zu schlecht. Die Konkurrenten enthält sich eines gesprochenen Kommentars. In sachlichen Bildern erzählt er von dem frustrierenden Wettlauf der Pianisten von Vorspiel zu Vorspiel. Abgelehnt, in der ersten Runde ausgeschieden, kein Platz mehr frei. Konzertsaal – Tingeltangel. Durch Stress und emotionale Überlastung werden die jungen Künstler in der mitleidlosen Maschinerie der Spitzenmusik verschlissen. Die Zeit läuft ihnen davon. „Die biologische Uhr tickt“, kommentiert Irina mit bitterem Sarkasmus. Denn die Konkurrenten der nächsten Generation warten schon auf Russlands Wunderkinder II.

Die Konkurrenten - Russlands Wunderkinder 2

„Es ist, als stünde man in seinem eigenen Schatten.“ Als einzige spricht Irina Kolesnitschenko die Vergeblichkeit ihrer Anstrengungen offen aus. Vor zehn Jahren war die hochbegabte Musikerin eine gefeierte Konzertpianistin. Eines von „Russlands Wunderkindern“, welchen die Regisseurin Irene Langemann ihren hintergründigen gleichnamigen Dokumentarfilm widmete.
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