Die Kinder des Fechters (2015)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Die subversive Kraft des Fechtens

Estland, 1952. Ein Mann steigt aus einem Zug, sieht sich zögernd um und verlässt dann den Bahnhof. Es ist Endel (Märt Avandi), der eine Stelle als Sportlehrer an einer Schule in dem kleinen Küstenort Haapsalu angenommen hat, weil er auf der Flucht vor Stalins Geheimpolizei ist. Deshalb hat er eine Elite-Sportakademie in Leningrad verlassen und hofft, in Haapsalu unbemerkt leben zu können. Von Anfang an wird der junge Mann aber von dem Schuldirektor (Hendrik Toompere) kritisch beäugt: Er fürchtet, Endel hielte sich für etwas besseres, weil er aus Leningrad komme und dort gefochten hat – also eine ‚aristokratische‘ Sportart ausgeübt hat, die in der Estnischen Sozialistischen Sowjetrepublik nicht angebracht erscheint.

Anfangs fällt Endel die Umstellung schwer: Er hat keine Erfahrungen als Lehrer, ist desillusioniert und alles andere als glücklich, dass er nun in der Provinz leben muss. Eine seiner Pflichten ist es, an der Schule einen freiwilligen Sportclub für die Kinder zu organisieren. Nach einigen gescheiterten Versuchen mit anderen Sportarten beginnt er, die Kinder im Fechten zu unterrichten. Dadurch gibt er ihnen eine Aufgabe und wird nach und nach zum Vaterersatz für seine Schüler, die fast alle ihren Vater im Krieg verloren haben. Durch seine wachsende Beliebtheit ist der Konflikt mit dem parteigetreuen Schuldirektor unausweichlich – zumal es Endel gelungen ist, dass sich die Eltern dem Wunsch des Direktors widersetzen, den Club zu verbieten. Erzürnt über dieses Treiben forscht der Direktor nach und entdeckt Endels Schwierigkeiten mit der Geheimpolizei.

In seiner Verfilmung der Lebensgeschichte von Endel Nelis nach einem Drehbuch von Anna Heinämaa vertraut Regisseur Klaus Härö ganz auf die Elemente der klassischen Geschichte des Kampfes zwischen David und Goliath: Endel ist der Außenseiter, der gegen die übermächtige Geheimpolizei und den sowjetischen Stadt antritt und dabei von überraschender Seite Hilfe bekommt. Dieses Muster der Auseinandersetzung zwischen den Kleinen und den Großen findet sich im Schlussteil dann gleich zweifach wieder: Zum einen tritt in einem Fechtwettbewerb die ländliche estnische Schule gegen russische Eliteschmieden an – und dann muss auch noch die junge Marta (Liisa Koppel) gegen einen körperlich weitaus stärkeren Gegner fechten.

In diesen persönlichen Kämpfen spiegelt sich immer wieder auch die Situation Estlands und der estnischen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg: Erst von Deutschland, dann von Russland besetzt, wurde das Land zum Kriegsschauplatz und ab 1944 zur Sowjetrepublik; dabei kam es immer wieder zu Massenverhaftungen und Deportationen. Diese Angst davor, dass es an der Tür klingelt und jemand verhaftet wird, den man sehr wahrscheinlich nicht wiedersieht, ist in vielen kleinen Szenen des Films zu spüren. Dadurch wird Endel als gesunder junger Mann zum Vorbild und zur Vaterfigur seiner Schüler, er gibt ihnen Selbstvertrauen und Hoffnung.

Leider sind in dieser klassischen Dramaturgie die einzelnen Konflikte und der Verlauf der Handlung sehr leicht vorhersehbar. Auch die Musik lässt es dann und wann an Zwischentönen mangeln und wird großteils überemotionalisierend eingesetzt. Hier versucht Härö an einigen Stellen zu sehr, seine Zuschauer in eine bestimmte Richtung, eine bestimmte Emotion zu drängen. Deshalb ist Die Kinder des Fechters einer jener Filme, die man aufgrund der Geschichte und der eigentlich guten Besetzung gerne mögen möchte, die es einem aufgrund ihrer Vorhersehbarkeit und der allzu sehr auf Emotionen drängenden Inszenierung aber schwer machen. Zumal Härö auf ein kitschiges Schlussbild nicht verzichten kann, obwohl doch das wahre Leben selbst ein gutes Ende bereit hielt: Noch heute gehen die Erfolge der estnischen Fechter auf jenen Club zurück, den der reale Endel Nelis einst gegründet hat.
 

Die Kinder des Fechters (2015)

Estland, 1952. Ein Mann steigt aus einem Zug, sieht sich zögernd um und verlässt dann den Bahnhof. Es ist Endel (Märt Avandi), der eine Stelle als Sportlehrer an einer Schule in dem kleinen Küstenort Haapsalu angenommen hat, weil er auf der Flucht vor Stalins Geheimpolizei ist. Deshalb hat er eine Elite-Sportakademie in Leningrad verlassen und hofft, in Haapsalu unbemerkt leben zu können.

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Meinungen

Martin Zopick · 28.06.2020

Ein kleiner Film, der nicht nur für das Baltikum von Bedeutung ist. Er setzt einem für Estland bedeutenden Mann ein Denkmal. Endel Nelis (Märt Avandi) ist eine Fechttalent und bringt es Kindern bei. Diese Sportart galt damals in der SU als bourgeoises Überbleibsel des Feudalismus. Endel taucht unter, weil er sich vor Stalins Geheimpolizei verstecken muss. Auf einem Turnier in Leningrad wird er verhaftet. Die Fechtschule besteht bis heute, Endel wurde inzwischen rehabilitiert.
Der Umgang mit den Kindern wir warmherzig geschildert, wenn auch emotional etwas unterkühlt. Ebenso wie das Verhältnis zur Kollegin Kadri (Ursula Ratasepp).
So bleibt es bei einem gutgemeinten Dramolett, das fast niemanden rührt, selbst wenn man die Bedeutung begreift.
Die am Ende kurz auftretenden Männer in schwarzen Ledermänteln verbreiten wenig Angst und Schrecken. Endel geht mit ihnen mit. Er ist keine Widerstandskämpfer oder so. Und Kollegin Kadri steht da und wartet.
Es bleibt ein Jugendfilm, der für diese Zielgruppe Diskussionsstoff bietet. Zu harmlos, weil zu wenig Tiefe. Zu nett für ein Drama und zu wenig Spannung.