Die Hausschlüssel

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Wunden der Vergangenheit

Manche Wunden brauchen lang, bis sie verheilen und wir fähig sind, uns dem Schmerz und seinen Ursachen zuzuwenden. Im Falle von Gianni (Kim Rossi Stuart) sind es fünfzehn Jahre. Nach der Geburt seines schwer behinderten Sohnes Paolo und dem gleichzeitigen Tod seiner Frau bei der Niederkunft rannte Gianni einfach davon, traumatisiert und unfähig, sich um sein Kind zu kümmern. Mittlerweile hat Gianni wieder geheiratet und ist stolzer Vater eines gesunden Sohnes, doch die Schatten der Vergangenheit lassen ihn nicht los. Und so beschließt der Mann, sich endlich mit Paolo zu treffen. Der lebt mittlerweile bei seinem Onkel Alberto und dessen Familie, doch anlässlich einer Fahrt nach Berlin in eine Spezialklinik will Gianni seinen erstgeborenen Sohn nun endlich kennen lernen. Trotz seines guten Willens ist Gianni anfangs vollkommen überfordert, zumal Paolo nicht nur behindert ist, sondern zudem auch noch heftig pubertiert und dementsprechend rebellisch ist. Mit der Zeit aber nähern sich die beiden einander an und Gianni erkennt – auch dadurch, dass er auf andere Eltern mit einem behinderten Kind trifft – mit welchen Schwierigkeiten Paolo zu kämpfen hat und welche Kraft zugleich von ihm ausgeht. Schließlich unternehmen die beiden von Berlin aus eine Reise nach Norwegen, wo Paolo eine Brieffreundin hat, die er noch niemals gesehen hat – eine erste Bewährungsprobe für Vater und Sohn.
Als der renommierte italienische Regisseur Gianni Amelio von RAI Cinema angesprochen wurde, ob er nicht Lust habe, Giuseppe Pontiggias Buch Zwei Leben zu verfilmen, lehnte Amelio im ersten Moment ab, da er das starke Gefühl empfand, dazu nicht das Recht zu haben – zu wenig wusste er über behinderte Kinder und darüber, was es wirklich bedeutet, Vater eines solchen Kindes zu sein – eine deutliche Parallele also zur Ausgangssituation von Die Hausschlüssel / Le Chiavi di Casa. Erst als Amelio schließlich Andrea Rossi, den behinderten Darsteller des Paolo kennen lernte, entschloss er sich dazu, den Film tatsächlich zu realisieren.

Amelio tut dies mit ruhigen Einstellungen und inszenatorischer Betulichkeit, die allerdings bisweilen etwas langweilig und dröge daher kommt, was aber auch an einem eher schwachen Kim Rossi Stuart liegen mag, der die Rolle des Vaters niemals ganz auszufüllen versteht. Störend ist auch, dass Amelio trotz aller Sorgfalt und Ruhe in der Inszenierung nur allzu gerne in sattsam bekannte Klischees verfällt und Deutschland als ein vollkommen tristes, ungastliches und kaltes Land schildert, in dem selbst Therapeutinnen – sonst in Filmen der Inbegriff von Mütterlichkeit und Verständnis – zu teutonischen Monstern geraten. Kein Wunder also, dass Amelios Botschaft – behinderte Kinder brauchen vor allem eine intakte Familie und viel Liebe und Verständnis – ebenso schlicht wie selbstverständlich daherkommt. Unglaubwürdig wird das Ganze auch dadurch, dass sich Gianni erst sehr spät dazu entschließt, die Makel seiner Vergangenheit auszuräumen. Und das ebenso gefühls- wie tränenreiche Ende ist dann doch deutlich zuviel des Guten. Fast scheint es so, als habe Amelio zum Schluss der Kraft seiner Geschichte nicht mehr vertraut. Weniger wäre mehr gewesen.

Die Hausschlüssel

Manche Wunden brauchen lang, bis sie verheilen und wir fähig sind, uns dem Schmerz und seinen Ursachen zuzuwenden. Im Falle von Gianni (Kim Rossi Stuart) sind es fünfzehn Jahre.
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