Die Grenze

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Deutschland im Frühjahr 2010

Wenn sich ein Fernsehfilm provokant mit dem Themenkomplex um die deutsch-deutsche Geschichte beschäftigt und dabei mit einem Starensemble ein spekulatives Gedankenexperiment zu einem extremen Zukunftsszenario entwickelt, ist das ein Medienereignis in Deutschland. Der Zweiteiler Die Grenze von Roland Suso Richter, der am 15. und 16. März mit guten Einschaltquoten für den ersten Teil und deutlich geringeren am zweiten Abend bei Sat.1 ausgestrahlt, im Vorfeld kräftig plakativ beworben und von umgebenden TV-Sendungen wie einer Dokumentation und einem Talkshow-Spezial begleitet wurde, löst genau das aus, was zu erwarten war: Kontroverse öffentliche Stellungsnahmen einschlägiger Protagonisten und Gruppen, deren Ausrichtungen in irgendeiner Form innerhalb des Films dargestellt wurden. Bereits einen Tag nach seiner Fernsehpremiere erscheint der Polithriller der Produktionsfirma teamWorx nun bei Kinowelt auf DVD.
Deutschland im Mai 2010: Als der wendige Werbedesigner Rolf Haas (Benno Fürmann) aus heiterem Himmel seinen Job verliert, ist das erst der Beginn einer ausweglos erscheinenden persönlichen Krise. Der Zutritt zu seiner Wohnung bleibt ihm versperrt, da er mit den Raten im Rückstand ist, und die Palette seiner Bankkarten ist ebenfalls komplett außer Funktion. Bald stellt sich heraus, dass der Verfassungsschutz in Person der ausgeschlafenen Linda Jehnert (Anja Kling) hinter diesem Fiasko steckt. Auf diese Weise wird der ehemalige Linksaktivist gezwungen, im geheimen Auftrag der Regierung Kontakt zu seinem einstigen persönlichen wie politischen Freund Maximilian Schnell (Thomas Kretschmann) aufzunehmen, der gerade im Begriff ist, eine mächtige, als gefährliche eingeschätzte Karriere als Leitfigur der rechtsextremen Partei DNS auf die Spitze zu treiben. Einfach gestaltet sich dieses Wiedersehen allerdings nicht, denn ein Verrat aus früheren Zeiten steht zwischen den beiden Männern.

Im Zuge der Wirtschaftskrise sowie aktueller terroristischer Anschläge auf Öl-Raffinerien explodieren die sozialen Spannungen, die sich in klassischer Konstellation in rechts-links Lager spalten, und bald beherrschen gewalttätige Unruhen das Land. In Rostock, wo Schnell seinen so geschickt wie korrupt inszenierten Wahlkampf betreibt, begegnet Rolf Haas auch seiner einstigen Liebe Nadine Manz (Marie Bäumer) und deren sozialistisch orientiertem Vater Erich (Uwe Kockisch) wieder, der sich im Chaos der Ereignisse mit Gleichgesinnten zum politischen Kampf im Geiste der Wertevorstellungen der ehemaligen DDR rüstet. Konfrontiert mit dem komplizierten, zunächst ablehnenden Beziehungsgeflecht seiner Vergangenheit dringt Haas in die konspirative Machzentrale Schnells vor und setzt alles daran, dessen rasantes politisches Fortkommen zu stoppen, während die Bundeskanzlerin Carla Reuer (Katja Riemann) hinter den Kulissen den Kandidaten der Neuen Linken Franz Geri (Jürgen Heinrich) unterstützt, um Schnell auf diese Weise zusätzlich zuzusetzen …

Innerhalb des Gedankengebildes, das sich mit der Frage nach möglichen gesellschaftspolitischen Entwicklungen unter ganz bestimmten Bedingungen beschäftigt, entwirft Die Grenze eine vielschichtige, düstere und überspitzte Version einer Sozietät, deren Bürger wie Politiker sich im Angesicht der Krise an isolierten Elementen der deutschen Historie entlanghangeln. Auf diese Weise erscheint die durchaus spannende Fiktion in überzeichneter Schwarzweißmalerei, so wie die allzu bekannten Darsteller trotz ihres sichtbaren Engagements überwiegend recht stereotyp wirken. Dabei überzeugen Thomas Kretschmann, vor allem Anja Kling und Uwe Kockisch durch ein hohes Maß an Kontinuität und Nuancen gleichermaßen, während Marie Bäumers Rolle als allein erziehende Mutter und einst von Rolf Haas unvermittelt verlassene Freundin zuvorderst eindimensional wirkt. Das Bemühen Benno Fürmanns, durch minimale, dramatisch intendierte, allzu starrende Augenblicke sein zweifellos bewegtes Innenleben anzudeuten, grenzen allerdings mitunter an die drastische Übertreibung von Stummfilmhelden und hätten in einem anderen Kontext sicherlich als komische Qualität brilliert.

Die Grenze

Wenn sich ein Fernsehfilm provokant mit dem Themenkomplex um die deutsch-deutsche Geschichte beschäftigt und dabei mit einem Starensemble ein spekulatives Gedankenexperiment zu einem extremen Zukunftsszenario entwickelt, ist das ein Medienereignis in Deutschland.
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