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In Alireza Golafshans „Die Goldfische“ begibt sich Tom Schilling als Rollstuhlfahrer mit einer Gruppe von Menschen mit Behinderung auf einen Trip nach Zürich – mit gesetzwidrigen Hintergedanken.

Die Goldfische (2019)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Schweizer Kamele

Oliver (Tom Schilling), der Protagonist der Komödie „Die Goldfische“, ist Portfolio-Manager. „Ich kenn’ die Klischees“, sagt er genervt an einer Stelle des Films in Bezug auf seine Zunft – und auch uns werden sie alle zu Beginn in rascher Abfolge präsentiert: Der junge Mann fährt einen Luxuswagen, echauffiert sich über Nagellackflecken auf dem Handschuhfach, die seine eitle Freundin dort hinterlassen hat – und er ist natürlich wahnsinnig in Eile, weil ein superwichtiger Kunde wartet, der noch mehr Geld und einen noch schnelleren beruflichen Aufstieg bedeutet. Da er gerade im Stau steckt, muss Oliver Gas geben – auf der Gegenfahrbahn. Das führt zu einem schweren Autounfall; und schon tanzen die Röntgenbilder zu Blue Monday von New Order, während der Vorspann läuft.

Bereits die ersten Minuten des Werks lassen erkennen, dass der 1986 in Teheran geborene Drehbuchautor und Regisseur Alireza Golafshan, der an der HFF München studierte und nach dem 45-Minüter Behinderte Ausländer (2014) nun sein Langfilmdebüt vorlegt, ein Talent dafür besitzt, flott zu erzählen und sein Spiel mit Klischees und Zuspitzungen unterhaltsam zu gestalten. Im weiteren Verlauf gelingt es ihm überdies, das Schicksal von Figuren mit Humor zu schildern, ohne dabei unsensibel oder ausbeuterisch zu erscheinen. Die Goldfische will offensichtlich keine durch und durch realistische Geschichte sein – aber auch keine unterkomplexe Posse und erst recht kein moralinsaures, verlogenes Feel-Good-Movie. Über weite Strecken schafft Golafshan das erstaunlich gut.

Nach einem Zeitsprung von drei Monaten sitzt Oliver querschnittsgelähmt im Rollstuhl und muss noch sieben Wochen in der Reha-Klinik verbringen. Die Freundin ist inzwischen weg – und für Oliver scheint noch immer in erster Linie der Job zu zählen; als größtes Problem empfindet er die schlechte WLAN-Verbindung in der Einrichtung. Auf der Suche nach akzeptablem Empfang landet er in einer angeschlossenen Wohngruppe von vier Menschen mit Behinderung: Magda (Birgit Minichmayr) ist seit einigen Jahren sehbehindert, „Rainman“ (Axel Stein) und „Michi“ (Jan Henrik Stahlberg) sind autistisch und Franzi (Luisa Wöllisch) hat das Down-Syndrom; betreut wird das Quartett von der engagierten Sonderpädagogik-Studentin Laura (Jella Haase) und dem phlegmatischen Pfleger Eddy (Kida Khodr Ramadan).

Als Oliver von seinem Kollegen Julius (Klaas Heufer-Umlauf) erfährt, dass die Behörden seinem Bankschließfach in Zürich mit reichlich Schwarzgeld auf der Spur sind, fasst er einen Plan: Er spendiert der WG einen Ausflug in die Schweiz zur Kamel-Therapie, um dabei unbemerkt sein kleines Vermögen abholen und über die Grenze schmuggeln zu können. Dass die Sache letztlich kniffliger wird als gedacht, versteht sich wohl von selbst. Denn Kamele sind wachsam, Gehilfen gierig und Zöllner skeptisch …

Hin und wieder tappen das Skript und die Inszenierung in jene Fallen, die solche Chaos-Komödien mit sich bringen: Im Bemühen, sowohl „politisch unkorrekt“ als auch möglichst charmant-liebenswert zu sein, ist mancher Gag entweder zu zahm oder irgendwie unpassend. Einiges ist allzu vorhersehbar – und insbesondere die Darstellung von Autismus vermag nicht ganz zu überzeugen, da sie, im Falle von „Rainman“, zu sehr auf den schnellen Witz ausgerichtet ist oder, im Falle von „Michi“, unausgegoren anmutet. Weitaus stimmiger geraten sind indes die Zeichnung und die Verkörperung von Magda und Franzi: Birgit Minichmayr nutzt jede zynische Dialogzeile, um die Stimmung ihrer Figur (die dem Alkohol überaus zugetan ist) nachvollziehbar zu machen – und Luisa Wöllisch, die auch im echten Leben das Down-Syndrom hat, lässt zu keiner Sekunde zu, dass Franzi nur dazu dient, irgendwelche banalen Lebensweisheiten zu transportieren; die junge Frau ist schlagfertig und weiß ziemlich genau, was sie will und wie sie es bekommt. Positiv ist insgesamt, dass die vier Menschen mit Behinderung nicht zu sidekicks von Oliver und dessen love interest Laura werden, sondern dass sich der Film mehr und mehr zu einem Ensemblestück entwickelt.

Als Roadmovie arbeitet Die Goldfische diverse unvermeidliche Stationen ab – doch es macht Spaß, dem Personal dabei zu folgen. Das große Ganze mag wenig überraschend sein, aber in seinen einzelnen Szenen findet das Werk originelle Auflösungen und eindrückliche Bilder. Auch der Musikeinsatz funktioniert; die ausgewählten Songs wirken nicht – wie in vielen deutschen Produktionen – wie ein austauschbarer Pop-Klangteppich, sondern werden gekonnt mit dem Gezeigten kombiniert. So lässt sich festhalten: Golafshan kennt die Klischees – und weiß überwiegend clever mit ihnen zu hantieren.

Die Goldfische (2019)

Oliver arbeitet hart für seinen Erfolg als Portfolio Manager. Aber als er sich auf dem Weg zu einem Termin die freie Gegenspur zur privaten Fastlane macht, rast er in einen verheerenden Crash. Diagnose: Querschnittlähmung. Drei Monate Reha sollen ihn auf ein Leben im Rollstuhl vorbereiten. Doch Oliver will möglichst schnell raus aus diesem „Behindertengefängnis“ mit schlechtem Internet. Auf der Suche nach dem stärksten WLAN-Signal lernt er eine schräge Behinderten-WG kennen, die „Goldfisch Gruppe“ …

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Meinungen

Kai Lehmann · 01.01.2019

Ein grandioser Film eines vielversprechenden Jung-Regisseurs!