Die Ewigkeit und ein Tag

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Am Ende eines Weges

Ist es überhaupt möglich, sich im Leben wirklich zu verabschieden? Von seiner Vergangenheit, die ständig Terrain gewinnt, von den Menschen, die einem geblieben sind, von seinen Plänen, Träumen, Illusionen? Mit dem gewaltigen, schwierigen Thema des Abschieds beschäftigt sich Die Ewigkeit und ein Tag / Mia eoniotita ke mia mera des griechischen Regisseurs Theo Angelopoulos, der 1998 in Cannes mit der Goldenen Palme prämiert wurde. Dem Film liegt eine zusätzliche DVD mit Extras bei, die sich ausführlich mit der Person und dem Werk des mittlerweile bald 73jährigen Filmemachers beschäftigen, darunter ein umfangreiches Interview mit Filmausschnitten, das im vergangenen Jahr in Berlin aufgezeichnet wurde.
Der Koffer ist bereits gepackt, und am nächsten Tag soll der alte, einstmals erfolgreiche Schriftsteller Alexander (Bruno Ganz) ins Krankenhaus gehen – ein Schritt, der ihm offenbar sehr schwer fällt, so dass er seinen letzten Tag auf ganz besondere Weise verbringen will. Doch für den schwachen, müden und melancholischen Mann gibt es nur eine flüchtige, verträumte Gegenwart und augenscheinlich keine Zukunft, dafür aber ständig präsente Erinnerungen an die Vergangenheit mit seiner verstorbenen Frau und seiner Familie, vor allem an einen Tag ihrer jungen Ehe, an dem die Verwandtschaft zu Besuch kommt, um die neugeborene Tochter des Paares zu bestaunen – es ist ein fröhlicher Tag geselligen Beisammenseins im ehemaligen Haus am Meer, das Alexander als Akt des Abschieds noch einmal aufsucht und einen Brief seiner einstigen Gattin findet, der diese kleine Feier der Familie heraufbeschwört.

Als der erschöpfte Mann einen albanischen kleinen Jungen, der als Autoscheibenwäscher vor roten Ampeln arbeitet, spontan vor der Polizei rettet, wird er mit einem Mal wieder in die Gegenwart katapultiert und dort erst einmal festgehalten, denn er fühlt sich für das weitere Schicksal des so verloren erscheinenden Wesens verantwortlich, das ebenso einsam und zukunftslos wie er selbst wirkt. Seine anfänglichen Bemühungen, den Jungen schlicht in einen Bus in Richtung der albanischen Grenze zu verfrachten, scheitern, und nach einer Weile des gegenseitgen Taxierens und der zögerlichen Annäherung ist klar, dass sie die Zeit gemeinsam verbringen werden, bis das Kind zur Nacht mit dem Schiff wieder nach Hause fahren wird.

Die Ewigkeit und ein Tag / Mia eoniotita ke mia mera ist ein sehr persönliches, gemächliches und stilles Werk des griechischen Filmemachers Theo Angelopoulos (Der Bienenzüchter / O melissokomos (1986)), Die Erde weint / To livadi pou dakrisi (2004)), der auch hier dem Wasser vor allem in Form des Meeres als poetisches Element eine besondere Bedeutsamkeit verleiht. Während sich inhaltlich alles um das Vergehen der Zeit dreht, gestaltet sich auch die Dramaturgie des Films und vor allem sein Rhythmus immer wieder zögerlich und zaghaft, während sich die Szenen aus der Erinnerung und Imagination deutlich fließender und lebhafter ausnehmen und vom alternden Dichter manchmal einfach wie selbstverständlich betreten werden. Doch so angenehm sie sein mag und so gern sie beschritten wird: Die gedankliche Reise in die Vergangenheit nähert den sich verflüchtigenden Mann ebenfalls an die bittere Erkenntnis an, nur allzu häufig neben seinem tatsächlichen Leben her gelebt zu haben, was auch aus den Worten des Briefes seiner verstorbenen Frau anklingt, die wie auch die inneren Monologe Alexanders mitunter über die Handlung gelegt werden. Die Dialoge mit dem Jungen, der zunächst kaum spricht, werden schließlich mit philosophischen Reflexionen über Sprache und vor allem Poesie ausgestattet, was eher tastend als pointiert geschieht und streckenweise ein wenig zu sehr konstruiert und behäbig wirkt und mit der ruhigen und intensiven Kraft der Bilder nicht immer mithalten kann.

Die Ewigkeit und ein Tag / Mia eoniotita ke mia mera ist neben dem Titel des Films gleichzeitig auch die Antwort auf die Frage: Was ist morgen? Die mit einem sehr schön arrangierten Wechsel von verschiedenen Dimensionen der Erinnerung, Imagination und Wirklichkeit im Kontext von Vergänglichkeit sowie Unendlichkeit versehene Geschichte des alten Mannes, der einen letzten Tag verleben will, ist sicherlich weniger etwas für ungeduldige Zuschauer, die es nach einem konzentrierten Handlungsverlauf verlangt. Vielmehr ist es die vorrangig herrschende Langsamkeit, die den Charakter dieses Films ausmacht, der sich auch durch seine Form der Inszenierung allzu gefälligen Wendungen und Aussagen verweigert und seinen Ernst behauptet, nicht ohne am Ende die Möglichkeit zu transportieren, dass auf einen bewussten Abschied, der die Ewigkeit im Nacken hat, durchaus auch noch ein Tag folgen kann, und ein weiterer, und noch einer …

Die Ewigkeit und ein Tag

Ist es überhaupt möglich, sich im Leben wirklich zu verabschieden? Von seiner Vergangenheit, die ständig Terrain gewinnt, von den Menschen, die einem geblieben sind, von seinen Plänen, Träumen, Illusionen?
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