Die besten Jahre – La meglio gioventu

History revisited!

Ein sechsstündiger Film, der nichts anderes sein will als ein Bilderbogen von fast 40 Jahren italienischer Geschichte, das mag sich selbst für manchen fleißigen Besucher von Arthouse-Filmen nicht gerade verlockend anhören. Doch wer sich auf das italienische Abenteuer des Regisseurs Marco Tullio Giordana einlässt, erlebt Kino, wie man es fast für ausgestorben wähnt – großartig, ohne Scheu vor Melodramatik, geschichtsträchtig, opulent, behutsam und politisch engagiert — und leider auch mit großen Abstrichen, denn den enormen Ambitionen, die der Film verspricht, wird er leider nur zum Teil gerecht.

Im Mittelpunkt von Die besten Jahre steht die Familie Carati und insbesondere deren beide Söhne Nicola (Luigi Lo Cascio) und Matteo (Alessio Boni). Anhand dieser beiden Protagonisten zeigt sich die tief sitzende Kluft, die in jenen Jahren ab 1966 die italienische Gesellschaft durchzieht. Während Nicola zum linken Politaktivisten wird und als Kämpfer für die Rechte von Psychiatriepatienten eintritt, geht Matteo zuerst zur Armee und anschließend zur Polizei und steht damit automatisch auf der anderen Seite – linker Terror und staatliche (Gegen)Gewalt, destilliert und komprimiert am Beispiel einer Familie, die sich immer tiefer in den Fallstricken der Gesellschaft verheddert. Nicola verliebt sich ausgerechnet in die Pianistin Giulia (Sonia Bergamasco), die sich den „Brigate Rosse“ anschließt und die schließlich ein Opfer innerhalb der Familie ihres Partners ausmacht – der Ehemann einer Schwester Nicolas ist ein hoher Beamter der Staatsbank und somit als Attentatsziel bestens geeignet. Lebenswege, die so extrem diametral entgegen gesetzt sind, dass es unweigerlich zu einer Katastrophe kommen muss.

Man kann den Regisseur Marco Tullio Giordana durchaus als Gegenstück zu Edgar Reitz sehen, denn wie sein deutsches Pendant nimmt auch der italienische Filmemacher reale historische Ereignisse als Hintergrund für seine Protagonisten, die Geschichte leben und erleben und damit auch für nachfolgende Generationen greifbar machen. Ein Kunststück, mit dem schon Reitz ein präziser Blick auf die Gesellschaft vermittels eines Individuums gelingt. Und bei Giordana ist dies nicht anders. Es ist faszinierend und erstaunlich zugleich, wie glaubwürdig und authentisch die Biographien seines Figurenensembles wirken und zu welcher allgemein gültigen Aussagekraft über ein Land und seine Bewohner sich die Erzählung aufschwingt.

Ursprünglich war der sechsstündige Film als Mehrteiler für das italienische Fernsehen konzipiert. Alleine das ist bereits ein Aufhorchen wert, denn die Medienlandschaft hat sich unter dem Fernsehmogul und Regierungschef Silvio Berlusconi nicht gerade in Richtung eines aufklärerischen Umgangs mit der eigenen Geschichte entwickelt. Insofern erstaunt und beeindruckt Giordanas Parforce-Ritt durch die jüngste italienische Historie und muss durchaus als Akt der Wiederaneignung der eigenen Geschichte gesehen werden. Allerdings, und das ist das große Manko dieses Filmes, schrammt das Ganze recht häufig knapp am Sozialkitsch vorbei und überschreitet mehr als nur einmal die Grenze zwischen besten Intentionen und schlechter, sprich unglaubwürdiger Ausführung. Als wäre es nicht sowieso schon deutlich genug, wo Giordanas Sympathien liegen, überzeichnet Giordana Nicolas Charakter allzu sehr in Richtung „unangreifbarer altruistischer Gutmensch“, dass es nervt, obwohl doch eigentlich die gute Absicht der richtigen Gesinnung zu loben wäre.

Besonders auffällig ist dies vor allem bei der kitschigen Schlussszene des Films, in der sich die Hauptfiguren des Geschehens mitsamt Kindern und Kindeskindern zum fröhlichen Stelldichein unter toskanischer Sonne einfinden. Die Revolutionäre sind müde geworden und üben sich in hedonistischem Eskapismus. Doch vielleicht ist eben das genau die Diagnose, die Giordano für die Gegenwart ausmacht: Das Resignieren des Einzelnen vor dem Gespenst einer satten, faulen und kritiklosen gewordenen Gesellschaft, die sich den perfiden Manipulationsstrategien von Politikern und Wirtschaftsbossen ergibt.

Ein Bilderreigen, der aufgrund seiner Ambitionen durchaus fasziniert, dessen Details und grobe Vereinfachungen und Schwarzweißmalereien aber manches von dem guten Eindruck wieder trüben.

Die besten Jahre – La meglio gioventu

Ein sechsstündiger Film, der nichts anderes sein will als ein Bilderbogen von fast 40 Jahren italienischer Geschichte, das mag sich selbst für manchen fleißigen Besucher von Arthouse-Filmen nicht gerade verlockend anhören.

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Meinungen

Linnemann · 13.04.2005

Der zweite Teil erweist sich natürlich als emotionale Steigerung. Der gesamte Film ist ein Monolith im europäischen Kino - jenseits von plattem politischen Links-Rechts-Geseiere.

Nobi · 19.02.2005

der zweite Teil ist leider erheblich schlechter als der erste und wird kitschig, ausserdem erscheint er mir die Linke einseitig negativ und die Rechte als Opfer mitleidsvoll zu zeichnen, was man ja so nicht sagen (Berlusconi etc.)

Nobi · 12.02.2005

Erfreulicherweise ein echter Film und nicht wie heute so oft ein unscharfes, aufgeblasenes Video, endlich wieder ein großer Film aus Italien, wenngleich etwas zu brav und die politische Rechte etwas zu positiv schildernd.