Die beste aller Welten (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Kindheit unter Junkies

Es ist die große Freiheit. Lagerfeuer, Feuerwerkskracher, Abenteuergeschichten. Was sich ein Kind wünscht und was es braucht: Die Erlebnisse, die es nie wieder vergessen wird. Aufregende Erlebnisse, die von der Geborgenheit in der Liebe der Eltern aufgefangen und ins Gute, Starke, Wachsende gewendet werden.

Adrian macht diese schönen Erfahrungen. Doch es sind nur seine schönen Erfahrungen. Nicht die der Mutter, nicht die von deren Freunden. Die Erwachsenen in seinem Zuhause, in seinem Aufwachsen: das sind Junkies. Heroinsüchtige, verlorene Gestalten. Eine Kindheit unter – objektiv betrachtet – entsetzlichen Umständen. Adrian Goiginger musste diesen Film drehen. Die Beste aller Welten ist in jeder Hinsicht „sein“ Film: Goiginger ist Student an der Ludwigsburger Filmakademie, hat sich aber frei genommen, um von Adrian zu erzählen, dem Siebenjährigen, der eine wunderschöne, schreckliche Kindheit durchlebt.

Es ist ein bisschen wie in Roberto Benignis Das Leben ist schön; nur nicht so verkitscht, so deutlich auf den Zuschauer zielend. Die Mutter hält die Drogenhölle von ihrem Buben fern. Die Flasche mit der schwarzen Markierung, die enthält Zaubertrank, der nur für Erwachsene ist. Der Herr vom Jugendamt: Für den müssen wir die Feuerwerkskörper wegräumen, der ist von der Putzbehörde. Dass der Grieche, der immer mit dem Stoff daherkommt, Adrian mal zum Wodkasaufen zwingen will: ein übler Dämon haust in ihm. Für Adrian ist das vollkommen logisch. Erstens kennt er nichts anderes, als dass immer viele Leute im Wohnzimmer hocken, mit Bier und Zigaretten, und wenn der Grieche kommt, ziehen sie sich zurück ins Schlafzimmer, wo sie pennen. Zweitens ist das alles eine große Abenteuergeschichte, die er als Geschichte aufschreibt, die er immer wieder träumt: Eine Höhle tief im Berg, dort angekettet ein fieser Dämon, doch Ronan, der steinzeitliche Held, hat einen Feuerpfeil, mit dem er ihn besiegen kann…

Es ist auch ein bisschen wie in Mara Eibl-Eibesfeldts Im Spinnwebhaus, in dem sich drei Kinder ihr Elend fiktionalisieren; doch Adrian ist nicht von der Mutter verlassen, er ist nicht vernachlässigt: Die ganze Liebe und Fürsorge wird ihm zuteil; nur, dass er die ab und an mit den Drogen teilen muss. Seine Fantasie braucht er nicht, um sich zu schützen, sondern um die Vielfalt, die sein Kinderleben bereithält, zu verarbeiten. Dass große Teile dieser Vielfalt irgendwo abartig sind und pervers, das kann er nicht ahnen. Dass er seinen Zweitklässler-Kumpels das Rauchen beibringt oder dass er Feuerwerksknaller in die Schule mitbringt, ist für ihn normal: Was kann bei einem Schweizerkracher schon groß passieren?

So genau, so detailliert, so spannend und zugleich wahrhaftig zu erzählen, ist eine große Kunst, die Adrian Goiginger vollkommen beherrscht. Er begibt sich in die Perspektive des siebenjährigen Kindes, zeigt eine Welt voll Abenteuer und Wunder, lässt sich auf diese Sicht voll ein, niemals von oben herab, niemals beschönigend, niemals betroffenheits- oder gefühlsduselig. Und zeigt gleichzeitig wie im Vexierbild die seelischen Nöte der Mutter Helga, zerrissen zwischen Sohn und Sucht, zwischen Adrian und Heroin, die sie beide braucht, die sich aber auch gegenseitig ausschließen. Ein doppeltes Drama, das des Sohnes und das der Mutter, entwickelt sich. Und das völlig organisch, aus sich heraus, nicht dramaturgisch forciert oder auf große Effekte getrimmt – die starken, hochemotionalen Momente kommen von allein, Momente, in denen die Euphorie, die Freude, die Lust am Leben aufscheinen – und in denen der Abgrund, die Hölle, der Teufel lauert.

Doch was wäre die Erzählkunst ohne vollendete Figuren, ohne außerordentliche Schauspieler? Allen voran Jeremy Miliker, der den Siebenjährigen so authentisch spielt, so echt und lebendig, wie es selten, höchst selten der Fall nur sein kann. Ein Kind noch, das die Kindheit selbst verkörpert, mit all ihren Höhen und Tiefen, ohne jemals aus der Rolle zu fallen, aus sich herauszutreten; er spielt nie, er ist.

Das kann Goiginger aus Miliker herauskitzeln, weil dessen Rollenname Adrian ist. Weil Adrian der Regisseur selbst ist. Weil wir hier ein Herausfilmen vor uns haben, das tief aus dem Inneren kommt. Offensichtlich Ergebnis einer tiefen Selbstbefragung, einer Selbstentäußerung, von der sich Goiginger zugleich so weit zu distanzieren vermag, dass er davon erzählen kann. Dass er nicht an dem klebt, was passiert ist, was erinnert werden kann, was faktisch aufzählbar ist; sondern das hervorruft, was in der inneren Wahrheit geschehen ist, in Adrian, in seiner Mutter, auch in den Mit-Junkies, in Günter, dem Stiefvater, im Griechen, dem Dealerkumpel, in Bernie, der im Entzug zu Jesus gefunden hat … Ein solch wahrhaftiger und wahrhaft aufwühlender Film ist selten. Adrian Goiginger ist ein Meisterwerk gelungen.
 

Die beste aller Welten (2017)

Es ist die große Freiheit. Lagerfeuer, Feuerwerkskracher, Abenteuergeschichten. Was sich ein Kind wünscht und was es braucht: Die Erlebnisse, die es nie wieder vergessen wird. Aufregende Erlebnisse, die von der Geborgenheit in der Liebe der Eltern aufgefangen und ins Gute, Starke, Wachsende gewendet werden.

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Meinungen

Jakob Konrad Straub · 16.09.2023

Habe eben nach dem "Nachtcaffee" den Film -- "Die beste aller Welten" -- gesehen.
Dem Filmteam ist ein ungewöhnlich überzeugender Film gelungen. Die Szenen
waren teils so stark, das man fast den Eindruck bekam, die Atmospähre der
Geschichte schwappe in die eigene Wohnung über...
Grandios !

Auch die Story hat mich sehr berührt -- zumal es immer schwierig ist - christliche
Wahrheiten überzeugend in Szene zu setzen. Vielleicht hätte man den Sozialarbeiter, der ihnen Jesus -- als den Retter bringen wollte, schon etwas früher einführen können? Der Lösung der Geschichte wäre dann nicht ganz so abrupt gekommen.

Trotz dem Großartig !

Grüße Konrad Sraub -- Johannes-Str. 10 -- Karlsbad -- Langensteinbach