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Der neue Film der Regisseurin der Geschichte vom weinenden Kamel wirft ein Schlaglicht auf die traditionelle Lebensweise vieler Mongol*innen. Und ihrer Bedrohung durch die Gier ausländischer Großkonzerne.

Die Adern der Welt (2020)

Eine Filmkritik von Christian Neffe

Flüssig bleiben

Wenn von den metaphorischen „Adern der Welt“ die Rede ist, dann können damit zwei verschiedene Dinge gemeint sein: Wasseradern, Quellen des Lebens – oder Goldadern, Quellen des Geldes. Im neuen Film der mongolischen Regisseurin Byambasuren Davaa („Die Geschichte vom weinenden Kamel“), der seine Premiere bereits auf der Berlinale 2020 feierte, ursprünglich schon im November des gleichen Jahre im Kino anlaufen sollte und erst jetzt das Licht der deutschlandweiten Leinwände erblickt, spielt beides eine Rolle. Genauer gesagt: die fatalen Auswirkungen, die blinde Profitgier für das Letztere auf Ersteres haben kann.

Es dauert seine Zeit, bis das ersichtlich wird. Völlig unscheinbar steht zuvor nämlich das Leben des zwölfjährigen Amra (Bat-Ireedui Batmunkh) im Mittelpunkt der Geschichte. Dessen vierköpfige Familie lebt in alter nomadischer Tradition in einem großen Zelt, umgeben von einer Ziegenherde, deren Milch sie zu Käse verarbeiten. Dieses kleine Zubrot kann sie nur teilweise ernähren, mehr bringen stattdessen die Gelegenheitsjobs von Vater Bataa (Purevdorj Uranchimeg) ein, der ein Händchen für technische Geräte hat und überall dort gefragt ist, wo es etwas zu reparieren gibt. Auch auf einer illegalen Abbaustelle für Gold.

Ein paar Einheimische haben dort Löcher in die Erde geschlagen, um jenen ausländischen Großunternehmen zuvorzukommen, die schon seit Jahren die Erde in der Gegend aufreißen, um an das wertvolle Edelmetall und andere Bodensubstanzen zu kommen. Dagegen formiert sich Protest unter den traditionell lebenden Anwohner*innen, denn zunehmend versiegen infolge der Arbeiten auch die Flüsse. Zugleich lassen sich manche der hier Lebenden das eigene Land abkaufen, weil sie das Geld dringend benötigen. Andere wiederum versuchen es eben selbst mit dem Goldschürfen. „Wozu? Kannst du das Gold essen?“, fragt Amras Mutter Zaya (Enerel Tumen) entrüstet bei einem Treffen, bei dem die nächsten Protestschritte besprochen werden und die Karten auf den Tisch gelegt werden sollen. Die ernüchternde Antwort: „Nein – aber es macht reich!“

Wie tragisch und folgenschwer der Verlust der reinen, ruralen Natur in den schier unendlichen Weiten der mongolischen Steppen ist, das macht Die Adern der Welt allein in seiner Bildsprache in Gänze deutlich. Die großen Panoramaaufnahmen strahlen eine natürliche Erhabenheit und Schönheit aus, die keiner weiteren Worte bedarf. Die ätherische Musik fügt sich darin perfekt ein – Byambasuren Davaa hat hier einen ästhetisch versierten, aber zu keiner Zeit (über)stilisierten Film inszeniert. Die Ziegenherden, das Leben zu Hause, Amras Schulunterricht – all das strahlt Ruhe und Harmonie aus, die regelmäßig von den lärmenden Maschinen und der Aussicht auf das schnelle Geld erschüttert wird.

Diese Aussicht lockt viele, aber nicht alle. Amras Vater gehört nicht dazu – ein natur- und familienverbundener Mensch, der an einem alten Baum den Geistern huldigt und darauf hofft, sein Land noch irgendwie halten zu können, auch wenn die Bagger überall am Wegesrand stehen und das Land zerstören. Sie lockt jedoch alsbald Amra: Ein tragischer Unfall beraubt die Familie eines wichtigen Mitglieds und lässt sie am Rande des Ruins zurück, ganz zu schweigen von der emotionalen Belastung. Amra muss sich nun allein um den Verkauf des Ziegenkäses kümmern, stattdessen aber schwänzt er die Schule, arbeitet ebenfalls auf der illegalen Goldgrabungsstätte und begibt sich dabei in große Gefahr.

An dieser Stelle verliert der bis dato zielgerichtete Film seinen Fokus, schwenkt vom zuvor so effektiv gezeichneten Konflikt zwischen naturverbundenen Nomaden und ausländischen Großkonzernen hin zu einem Familien- und Coming-of-Age-Drama, das die zuvor vermittelte inhaltliche Dringlichkeit vermissen lässt. Auch der anschließende Abschluss eines zu Beginn eröffneten Subplots über Amras Teilnahme an der mongolischen Version von „Das Super-Talent“ wirkt in diesem Kontext seltsam deplatziert und pathosschwanger. Mit der finalen Einstellung kann Die Adern der Welt dieses in Summe doch deutlich schwächere letzte Drittel zwar nochmal auffangen, dennoch wirkt Davass Films dadurch spürbar unrund.

Die Adern der Welt (2020)

In der mongolischen Steppe lebt der 12-jährige Amra mit seiner Mutter Zaya, seinem Vater Erdene und seiner kleinen Schwester Altaa ein traditionelles Nomadenleben. Während sich Zaya um die Ziegenherde kümmert und Erdene als Mechaniker und durch den Verkauf von Käse auf dem lokalen Markt sein Geld verdient, träumt Amra einen ganz anderen Traum: Er will ins Fernsehen und bei der Show „Mongolia’s Got Talent“ auftreten. Doch das friedliche und ursprüngliche Leben der Familie wird durch das Eindringen internationaler Bergbauunternehmen bedroht, die den Lebensraum der Nomaden rücksichtslos zerstören. Erdene ist der Anführer derer, die sich der Ausbeutung widersetzen. Ein tragischer Unfall ändert jedoch alles. Plötzlich muss Amra den Kampf seines Vaters fortsetzen. Er tut dies mit der Klugheit und der unbekümmerten Gewitztheit eines 12-jährigen Jungen …

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