Der Verdingbub

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Schuften und Leiden auf dem Schweizer Bauernhof

Zunächst ist Max (Max Hubacher) froh, auf dem Bauernhof der Bösigers gelandet zu sein: Anders als im drakonisch geführten Waisenhaus hat er hier ein Kämmerchen für sich allein. Nicht lange vor seiner Ankunft hatten zwei Männer in schwarzen Anzügen den Körper eines Jungen in ein weißes Tuch gepackt und im Sarg weggebracht. Hauptsache, der neue Verdingbub ist kein Bettnässer wie der letzte, sagt Frau Bösiger (Katja Riemann) zum Pfarrer, als er Max abliefert.
Regisseur Markus Imboden lässt seinen düster-realistischen Schweizer Heimatfilm zu Anfang der 1950er Jahre spielen. Er behandelt das lange verdrängte Schicksal der sogenannten „Verdingkinder“. Zwischen 1800 und 1960 wurden in der Schweiz viele Waisen, Halbwaisen oder von den Behörden ihren Familien entrissene Kinder als Arbeitskräfte zu Pflegeeltern gebracht. Dort sollten sie offiziell ein neues Zuhause bekommen und zur Schule gehen – anders als die im 19. Jahrhundert saisonal zur Arbeit nach Süddeutschland verschickten „Schwabenkinder“. Aber anstatt in die Familien aufgenommen zu werden, wurden die Verdingkinder als billige Helfer ausgebeutet, misshandelt und nicht selten sogar missbraucht.

Während die Bäuerin Max nur wegen des Kostgelds duldet, das der verarmte Hof als zusätzliche Einnahmequelle braucht, sieht der Bauer (Stefan Kurt) in ihm eine wertvolle Hilfe. Er muss um halb vier Uhr morgens aufstehen, den Stall ausmisten und auf dem Acker schuften. In der Schule schläft er oft ein. Dennoch ist Max anfangs noch zuversichtlich, denn er hält sich heimlich einen lebenden Hasen auf dem Zimmer und spielt so oft es geht auf dem Akkordeon, das ihm seine Mutter vererbt hat. Beim Essen sitzt er am Tisch der Familie, zusammen mit der 15-jährigen Berteli (Lisa Brand), die ihrer Mutter nach dem Tod des Vaters weggenommen wurde und der Bäuerin zur Hand gehen soll.

Aber der Hof wird von Missernten heimgesucht. Die tägliche Not verschärft die schwelende Ehekrise der Bösigers, der Bauer trinkt und die Bäuerin führt einen verbissenen Kleinkrieg gegen ihn. Das liegt vor allem an Jakob (Maximilian Simonischek), dem vom Militärdienst zurückgekehrten Sohn: Während die Mutter furchtbar stolz auf ihn ist, begegnet der Vater ihm mit kaum verhohlener Geringschätzung. Die beiden Verdingkinder, die sich gegenseitig Halt zu geben versuchen, werden immer tiefer in die Konflikte in dieser Familie hineingezogen. Als Max sich gegen den brutalen Jakob auflehnt, fällt er bei der Bäuerin in Ungnade. Fortan lebt er im Stall, während Berteli nachts Besuch von Jakob bekommt.

Die Atmosphäre auf dem Hof erhält durch den üppigen Schweizer Dialekt, der jedoch großzügig untertitelt wird, eine noch authentischere Note. Die Darstellung des ernsten, innerlich empörten Max sicherte dem 18-jährigen Berner Max Hubacher die Ernennung zu einem der zehn European Shootingstars auf der Berlinale 2012. Katja Riemann stattet ihre Bäuerin mit einer lebendigen und komplexen Mischung aus Verschlagenheit, Neid, Kummer und Wut aus, die ihre Handlungen menschlich nachvollziehbar macht. Fräulein Sigrist (Miriam Stein), die junge, idealistische Lehrerin, kann Max und Berteli nicht wirklich helfen. Aber die argentinische Tangomusik, die Max einmal bei ihr im Radio hört, erweitert seinen Horizont um das entscheidende Quäntchen Hoffnung.

Der Verdingbub

Zunächst ist Max (Max Hubacher) froh, auf dem Bauernhof der Bösigers gelandet zu sein: Anders als im drakonisch geführten Waisenhaus hat er hier ein Kämmerchen für sich allein. Nicht lange vor seiner Ankunft hatten zwei Männer in schwarzen Anzügen den Körper eines Jungen in ein weißes Tuch gepackt und im Sarg weggebracht. Hauptsache, der neue Verdingbub ist kein Bettnässer wie der letzte, sagt Frau Bösiger (Katja Riemann) zum Pfarrer, als er Max abliefert.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen