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Mit Der Seidene Faden bestätigt Paul Thomas Anderson seinen Status als Meister des US-amerikanischen Gegenwartskinos. Der Film ist präzise und zugleich suggestiv, treibt ein Verwirrspiel mit den Sinnen und kehrt so Genrekonventionen und Beziehungsklischees um.

Der seidene Faden (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Meister des Stoffs

In Szenen, in denen eine Frau einem Künstler Modell steht, geht es meist darum, sie auszuziehen oder zumindest darauf hinzuarbeiten, man denke an Titanic („Paint me like one of your French girls.“) In Der seidene Faden gibt es eine Szene, in der Alma (Vicky Krieps) Modell steht, aber da Reynolds Woodcock (Daniel Day Lewis in seiner womöglich letzten Rolle) Modeschöpfer ist, zieht er sie an. Es handelt sich um eine Schlüsselszene im neuen Werk von Paul Thomas Anderson, denn sie verweist auf zahlreiche grundsätzliche Motive und Themen dieses Films, der genüsslich Genrekonventionen und Verhältnisse umkehrt. Das beginnt schon bei den ersten Assoziationen: ein Modefilm mit einem Mann im Mittelpunkt. Wir befinden uns im London der 1950er Jahre. Die alten Tage der Haute Couture, als Defilees noch in Privatwohnungen stattfanden und die Mannequins Nummern bei sich trugen, damit die Stammkundinnen die Roben ihrer Wahl gleich im Anschluss bestellen konnten. Woodcock ist in diesem Arrangement der hoch geschätzte Meister, sensibel und kreativ, gestresst, arrogant, egozentrisch. Wenn aber die Frauen erst einmal laufen, entgleitet ihm alle Kontrolle. Dann kann er nur noch durch ein Schlüsselloch in den Raum spähen und hoffen, dass keine einzige Falte sich seiner sorgfältigen Drapierung widersetzt.

Alma scheint zunächst das glatte Gegenteil dieses eleganten Perfektionismus: eine Kellnerin, die Woodcock während einer Landpartie kennenlernt und mit der er eine Beziehung eingeht. Zunächst wirkt sie unauffällig, etwas ungeschickt – im weißen Kittel verschwindet sie später regelrecht im Kreis emsiger Näherinnen. Aber Alma weiß darum – und wenn sie droht, für ihn unsichtbar zu werden, macht sie sich eben hörbar. Als eines Tages die belgische Prinzessin zur Anprobe eines Hochzeitskleides erscheint, tut Alma etwas ganz und gar Unerhörtes. Sie löst sich aus der Gruppe der Näherinnen, begrüßt die Prinzessin mit einem Handschlag: „Ich wohne hier.“ Immer wieder gibt es in Der seidene Faden diese Momente, in denen man ihre Rolle zu überdenken beginnt. Denn eigentlich wissen wir nichts von Alma. Außer, dass sie mit einem leichten Akzent spricht (Krieps ist Luxemburgerin), und dem, was sie selbst von sich sagt. Zum Beispiel: „Ich kann unendlich lange stehen.“

Einen weiteren Anlass für Irritationen bietet sie während des Frühstücks. Der seidene Faden kommt immer wieder auf diese alltäglichen Situationen zurück, beginnt mit Woodcocks Morgenroutine, widmet sich den gemeinsamen Mahlzeiten. Woodcock stört sich an dem Lärm, den Alma beim Buttern ihres Toasts verursacht. Und tatsächlich können wir seine Qual nachfühlen, denn Anderson justiert in diesem Moment unsere Sinne nach. Wir sind in Reynolds Kopf, nehmen das Kratzen des Messers auf dem Brot plötzlich selbst als grässliche Kakophonie wahr. Dabei ist es eigentlich Alma, die von dieser Begebenheit erzählt – eine interviewähnliche Situation rahmt den Film lose ein. Das lässt nur einen Schluss zu: sie muss Woodcock so gut kennen, dass sie in jedem Moment durchschaut, wie er wahrnimmt, wie er funktioniert. Und so schließt sich eine Frage an: Der Lärm, den sie verursacht – ist er ein Moment, in dem Alma sich bewusst Gehör verschafft, so wie gegenüber der Prinzessin? In dem sie ihn irritiert und so seine Aufmerksamkeit erzwingt?

Paul Thomas Anderson führt in Der seidene Faden die Kamera selbst, fängt Szenen ein, in denen das Licht so hell und weich fällt wie in einem Gemälde von Vermeer. Er weist jedem Gegenstand des Films eine genaue Bezeichnung zu: Reynolds Woodcock trinkt nicht einfach nur Schwarztee, er trinkt Lapsang Souchong. Er verarbeitet nicht einfach nur Spitze, sondern flämische Klöppelspitze. In dieser minutiösen Inszenierung manifestiert sich die Meisterschaft des Films: er ist zugleich präzise und bleibt doch mehrdeutig, suggestiv, selbst in den Dialogen. „Es gibt Dinge, die kann ich nur mit dir tun“, sagt Woodcock, und Alma: „Ich gebe ihm jeden Teil von mir.“ Man ist es nicht mehr gewohnt, solche Sätze im Kino zu hören, mag sie als antiquiert-manirierte Liebesschwüre auffassen. Doch sie bezeichnen neben dem Liebesverhältnis gleichzeitig auch eine Beziehung zwischen Künstler und Muse – mit der Muse als unverzichtbarem Pol, der das Gelingen des Ganzen überhaupt erst ermöglicht.

Nicht umsonst bezieht sich Paul Thomas Anderson ständig auf den anderen Meister der Präzision, auf Alfred Hitchcock. Zum einen in zahlreiche Referenzen an Filme wie Rebecca, zum anderen durch die Namen: Woodcock ist nicht weit entfernt von Hitchcock, dazu Alma. Sie teilt sich den Namen mit Hitchcocks Ehefrau und Schnittmeisterin – in einer anderen Branche zwar, aber dennoch. Hier wie dort: Beziehungen, in denen die Männer im Rampenlicht stehen, was die Leistungen der Frauen kein Stück schmälert. Im Gegenteil, sie als Pole etabliert, bei denen die Fäden zusammenlaufen. Dass es dringend beide Seiten, eine Abkehr von der singulären Perspektive braucht, um etwas von Wert zu schaffen, reflektiert Anderson ständig: es findet sich in der stetigen Anwesenheit von Woodcocks Schwester und Geschäftspartnerin Cyril (Lesley Manville), ohne deren rationale Führung das Haus nicht überleben könnte. In der geisterhaften Präsenz seiner toten Mutter. Es findet sich aber vor allem in Andersons Bildern und Tönen: Woodcocks Wahrnehmungswelt und Almas Impulskontrolle, das lustvolle Hinauszögern vor Anspannung knisternder Momente, die jederzeit ins Brenzlige kippen könnten.
 

Der seidene Faden (2017)

In Szenen, in denen eine Frau einem Künstler Modell steht, geht es meist darum, sie auszuziehen oder zumindest darauf hinzuarbeiten, man denke an „Titanic“ („Paint me like one of your French girls.“). In „Der seidene Faden“ gibt es eine Szene, in der Alma (Vicky Krieps) Modell steht, aber da Reynolds Woodcock (Daniel Day Lewis in seiner womöglich letzten Rolle) Modeschöpfer ist, zieht er sie an.

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Meinungen

Uschi Peter · 18.11.2021

Ich finde euren Newsletter den ich immer Donnerstag erhalte toll. Gut gefallen mir auch die Fernsehtipps. Leider liegen sie überwiegend in der Vergangenheit. ( Montag bis Mittwoch der laufenden Woche). sinnvoll wäre es doch sie fangen mit dem Tag an an dem ihr euren Newsletter verschickt und zeigen dann das Programm bis zum nächsten Newsletter. Herzliche Grüße u.peter

Peter Steng · 01.02.2018

Guten Tag,
warum ist es nicht möglich auf Eurer Web-Site einfach Karten zu bestellen ? Wie bei jedem Konzert z.B..
Einfach einen Reservierungs/Bestell Button bei jedem Film anbringen.
Liebe Grüsse auch an Peter Erasmus, Peter Steng