Der nackte Mann

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Verteidigung des männlichen Geschlechts

Man sollte meinen, dass es im ausklingenden 20. Jahrhundert so gut wie kein Thema und keine gesellschaftliche Tendenz mehr gab, die den urbanen Raum und seine Bevölkerung ernsthaft schockieren konnten. Mit seiner Komödie Der nackte Mann / O Homem Nu von 1997 greift der brasilianische Regisseur Hugo Carvana diese vermeintliche Unerschütterlichkeit, unter der mitunter diffuse, abgeschottete Ängste tosen, mit deftigem, schnörkellosem Humor auf, indem er ihr schlicht eine personifizierte, vollkommmen entblößte Männlichkeit entgegensetzt, deren harmlose Unerhörtheit es vermag, einigen Schrecken zu verbreiten, die Ordnungskräfte in wilden Aktionismus zu versetzen sowie einen öffentlichen Diskurs um Nacktheiten auszulösen, bei dem die üblichen weltfremden Spezialisten in Erscheinung treten.
Der Experte für brasilianische Volksmusik und Fachbuchautor Sylvio Proença (Cláudio Marzo) schickt sich an, nach São Paulo zu reisen, um dort sein neues Buch zu präsentieren. Noch ahnt er nicht, dass seine hübsche Frau Marina (Lúcia Veríssimo) seine Abwesenheit nutzen wird, um sich derweil mit seinem Verleger Mendonça (Daniel Dantas) zu verlustieren, doch auch Sylvio wirft gern einmal einen anzüglichen Blick auf das andere Geschlecht und praktiziert dabei einen rasanten Flirtstil, vor allem bei der Assistentin Mendonças, die ihn genüsslich in seine Schranken weist.

Auf dem Flughafen begegnet Sylvio einer Musik-Combo, die er von früher kennt und bei welcher der „Professor“ großes Ansehen genießt, die auf den Flieger zu einem Auftritt wartet und die allgemeinen Verspätungen auf Grund der ungünstigen Wetterlage nur allzu gern nutzt, um eine spontane Session zu veranstalten, deren angenehme Atmosphäre bei der jungen, attraktiven Marialva (Isabel Fillardis), der Managerin der Band, zu Hause fortgesetzt wird, nachdem alle Flüge für die Nacht gecancelt werden müssen. Für Sylvio entwickelt sich auf diese Weise ein unerwartet wunderschöner Abend, in dessen Verlauf er kräftig trinkt, sich bestens amüsiert und zunehmend enger mit der sanften Marialva tanzt, mit der er schließlich eine zärtliche Liebesnacht verbringt.

Der nächste Morgen erscheint zunächst ein wenig verwirrend, doch Sylvio fühlt sich sichtlich wohl bei der warmen jungen Frau, die ihn zum Verweilen einlädt, während die Band längst abgereist ist. Mit der Gemütlichkeit ist es jedoch rasch vorbei, als dem nackten Mann, der nur rasch das Brot vom Flur für die duschende Marialva hereinholen will, flugs die Tür zuschlägt und ihn ungeschützt im Treppenhaus zurücklässt. Nun beginnt für den Mann in den mittleren Jahren eine rastlose Odyssee durch den urbanen Raum, während welcher er als kriminalisierter Gejagter der öffentlichen Moral zu einer unbekannten Berühmtheit acanciert. Es ist ebenso komisch wie auch teilweise geradezu rührend mitanzusehen, wie dieser Mann in der unfreiwilligen Mobilität seiner Nacktheit verzweifelt bemüht ist, sein Geschlecht vor den begehrlichen wie entsetzten Blicken der Öffentlichkeit und auch der Kamera zu schützen, wobei es gerade die Verteidigung dieses letzten intimen Territoriums ist, die gleichermaßen sinnlos und doch wieder symbolträchtig erscheint.

Bei allen vielschichtigen Ansätzen und Potentialen verbleibt Der nackte Mann jedoch im zuverlässigen Bereich einer milden, witzigen Gesellschaftssatire der direkten Art, die konsequent an der Oberfläche der humorigen Gefälligkeit verharrt und nichtsdestotrotz ein einfaches, kurzweiliges Vergnügen bereitet, das auf Grund des kompakten Zeitformats von gut siebzig Minuten auch keine Längen aufweist.

Der nackte Mann

Man sollte meinen, dass es im ausklingenden 20. Jahrhundert so gut wie kein Thema und keine gesellschaftliche Tendenz mehr gab, die den urbanen Raum und seine Bevölkerung ernsthaft schockieren konnten.
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