Der mit den Fingern sieht

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der blinde Seher

Eşref Armağan ist, man kann es nicht anders beschreiben, ein Phänomen, ein Wunder. Von Geburt an blind und demnach ohne jedes Wissen, ohne die geringste Erinnerung oder Vorstellung der tatsächlichen, der sichtbaren Welt, malt er Bilder, die unsere Realität so darstellen, als sei er sehend. Die Bilder in Zusammenhang mit seiner Lebensgeschichte sind so verblüffend, dass man Stein und Bein schwören könnte, dass dem ganzen Phänomen ein Schwindel zugrunde liegt. Doch wer auf solche Enthüllungen hofft, sieht sich im Falle des Malers, „der mit den Fingern sieht“, getäuscht. Dieser entwickelte tatsächlich, wie er bekennt, im Kindesalter, eine große Neugier auf die Welt und lernte buchstäblich, diese mit seinen Händen zu „begreifen“ und sie sich auf diese Weise anzueignen und vorstellbar zu machen: „Schon als Kind habe ich alles, was ich anfasste, versucht zu zeichnen – auf Holz oder Karton, mit Nägeln oder anderen spitzen Gegenständen. Ich wollte herausfinden, ob man das erkennt. Und ich wollte meine Umwelt, die Welt kennen lernen. So mit sechs, sieben Jahren entwickelte ich diese Neugier.“ Im Laufe der Jahre hat Eşref Armağan seine erstaunlichen Fähigkeiten immer weiter entwickelt und zu großer Meisterschaft gebracht. Heute hängen seine Bilder nicht nur in den Kunstmetropolen der Welt und sogar im MoMa in New York, sondern er ist auch immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen und Experimente, die allesamt zum gleichen Ergebnis kommen: Es ist ein Wunder, eine Leistung, die man nicht hoch genug einschätzen kann.
Der aus der Türkei stammende und in Deutschland tätige Filmemacher Savaş Ceviz, der bereits im Jahre 2006 eine Fernsehdokumentation gleichen Titels realisierte, hat den Maler portraitiert und mit zahlreichen Experten und Wegbegleitern Eşref Armağans gesprochen. Er begleitet ihn zu wissenschaftlichen Kongressen, bei denen sich der kanadische Psychologe John Kennedy begeistert und fassungslos Kostproben des Könnens von Armağan geben lässt.

Das Geheimnis des blinden Malers ist dabei durchaus wissenschaftlich zu erklären: Mittels jahrzehntelanger Übung wird in Armağans Gehirn der visuelle Cortex immer dann aktiviert, wenn der Maler etwas mit seinen Händen befühlt. „Ich kann nicht mit meinen Augen sehen, aber ich habe meine Finger. Andere sehen mit zwei Augen — und ich mit zehn“, so bringt es Armağan auf den Punkt. Auch wenn es den Maler kaum berührt – seine Begabung lässt die Hoffnung keimen, dass das Phänomen wiederholbar sei und neue Perspektiven für die Therapie von Blinden ermöglichen könnte.

Seine außergewöhnlichen Fähigkeiten haben den Mann, der aus ärmsten Verhältnissen stammt und der nie eine wirkliche Schulbildung erfahren hat, weit gebracht. Mittlerweile hat ist Armağan sogar der Star in einem Werbespot für die Automobilmarke Volvo und kennt Menschen wie den ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton persönlich.

Leider findet Der mit den Fingern sieht kaum je geeignete Bilder, die die Magie, die Unbegreiflichkeit des Phänomens des blinden Malers adäquat in Bilder umsetzen. Häufig sieht man „talking heads“ oder schaut Armağan beim Malen über die Schulter und auf die Hände. Was als Fernsehessay noch gut funktionierte, wird über die Dauer von 90 Minuten ein wenig ermüdend und enthält zahlreiche Redundanzen und Wiederholungen, die doch den Kern des Wunders nicht fassbar machen. Vielleicht kann man das aber – im Gegensatz zu Eşref Armağan – auch als Sehender gar nicht begreifen.

Der mit den Fingern sieht

Eşref Armağan ist, man kann es nicht anders beschreiben, ein Phänomen, ein Wunder. Von Geburt an blind und demnach ohne jedes Wissen, ohne die geringste Erinnerung oder Vorstellung der tatsächlichen, der sichtbaren Welt, malt er Bilder, die unsere Realität so darstellen, als sei er sehend.
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Meinungen

Lisa Wertmann · 06.05.2011

Hallo,
der Film klingt superinteressant, ab wann wird er auch in anderen Städten gezeigt (München, Hamburg)?? !!