Der Liebhaber

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Donnerstag, 6. Januar 2011, Bayerisches Fernsehen, 00:45 Uhr

Es kommt durchaus vor, dass eine Autorin mit gewaltigem Unbehagen auf die Verfilmung eines ihrer Werke reagiert, wie im Fall der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras, die selbst einige Drehbücher verfasste und an der filmischen Umsetzung ihrer Erzählung Der Liebhaber / L’amant so gar keine Freude fand. Nichtsdestotrotz handelt es sich bei der Inszenierung von Der Liebhaber von Jean-Jacques Annaud aus dem Jahre 1992 um einen ganz bezaubernden Film, der seinerzeit eine Oscar-Nominierung für die Kameraarbeit von Robert Fraisse erhielt und mit einem César für die Beste Musik von Gabriel Yared ausgezeichnet wurde.
In der einstigen als Indochina bezeichneten französischen Kolonie zu Beginn der 1930er Jahre: Das fünfzehnjährige Mädchen (Jane March), das mit ebenso kühler wie karger Eleganz einen klassischen Herrenhut über den geflochtenen Zöpfen trägt und auf einer Fähre den Mekong überquert, wird an diesem Tag die Bekanntschaft eines mehr als doppelt so alten, wohlhabenden Chinesen (Tony Leung Ka Fai) machen und damit das Territorium einer heftigen erotischen Affäre betreten. Es sind die Erinnerungen der siebzigjährigen Marguerite Duras an ihre Jugend, die die Grundlage dieses brisanten Stoffes bilden.

In wunderschönen Bildern und mit geradezu mondäner Melancholie erzählt ereignet sich hier die zunächst sexuell dominierte Annäherung zweier Menschen, die über die Kluft der kolonialistischen Wirkungsmächte hinweg aufeinander treffen und in die Nische einer geheimen, gesellschaftlich absolut unerwünschten Beziehung abtauchen. Die blutjunge, aus einer gleichermaßen verarmten wie verzerrten Familie stammende Französin, die in Saigon ein Internat besucht, wird die Geliebte des reichen Mannes, der im Verlauf der Geschichte auf traditionelle Weise mit einer chinesischen Frau verheiratet wird.

Auch wenn dem Film häufig im Gegensatz zur weitaus komplexeren Erzählung die Beschränkung auf die erotische Komponente vorgeworfen wird, gelingt es Regisseur Jean-Jacques Annaud ganz hervorragend, in durchaus reduktionistischer Form die Hintergründe der pathologisch erscheinenden Familiengeschichte des Mädchens angemessen anzudeuten, ohne an Intensität bei der Darstellung des skandalösen, ambivalenten Verhältnisses einzubüßen, auf dem deutlich der Fokus liegt. Es ist zuvorderst die aufgewühlte Gefühlswelt der jungen Frau mit all ihren Widersprüchen, die hier auf bewegende Weise erzählerisch und visuell beleuchtet wird.

Der Liebhaber berührt mit seinen zahlreichen erotischen Szenen sowie seiner schwelenden Tragik einen sensiblen Nerv um erwachende Begierde, soziokulturelle Grenzen und die korrumpierenden Mächte von unbeherrschten Emotionen, die zwar mit anderer Gewichtung, doch ähnlicher Ausprägung auch in der literarischen Vorlage zum Tragen kommen. Das Ensemble – vor allem die charismatisch erscheinende Jane March, die hier ihr Schauspieldebüt gibt – zeigt durchweg überzeugende Leistungen, die in Kombination mit den formalen künstlerischen Elementen der Inszenierung einen eindrucksvollen Film entstehen lassen.

Der Liebhaber

Es kommt durchaus vor, dass eine Autorin mit gewaltigem Unbehagen auf die Verfilmung eines ihrer Werke reagiert, wie im Fall der französischen Schriftstellerin Marguerite Duras, die selbst einige Drehbücher verfasste und an der filmischen Umsetzung ihrer Erzählung „Der Liebhaber / L’amant“ so gar keine Freude fand.
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