Der Kick

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Die spielwütigen Forensiker

In der Nacht zum 13. Juli 2002 wird der 16 Jahre alte Marinus Schöberl im brandenburgischen Dorf Potzlow von den Brüdern Marco und Marcel Schönfeld und ihrem Bekannten Sebastian Fink zu Tode gequält. Täter und Opfer kennen sich. Über mehrere Stunden schlagen die Täter bei einem Besäufnis auf Schöberl ein. Sie halten ihn für minderwertig. Seine Sprachstörungen, blondierten Haare und weiten Hosen passen den Schlägern nicht ins Konzept. Sie pöbeln ihn an, „sag, dass du ein Jude bist“. Sie flößen ihm endlos Bier und Schnaps ein, schlagen immer brutaler zu, urinieren auf seinen Kopf und Körper. In einem stillgelegten Schweinestall muss der schlimm zugerichtete Junge in den Rand eines Futtertrogs beißen. Einer der Schläger, Marcel Schönfeld versetzt ihm den aus dem US-Film American History X bekannten so genannten „Bordsteinkick“ und tötet ihn. Die Täter verstecken die Leiche in einer nahe gelegenen Jauchegrube. Vier Monate später prahlt einer der Täter mit der grausamen Tat und die Überreste von Schöberl werden gefunden.

Nichts von dieser unfassbaren Tat ist in Andres Veiels (u.a. Die Spielwütigen, Black Box BRD) neuem Dokumentarfilm Der Kick zu sehen. Keine vermeintlich realistische Nachinszenierung von kaltblütiger, unfairer Schlägerei und Bordsteinkick. Veiel geht es um einen Erklärungsversuch. Im Gegensatz zu der sehr emotionalen öffentlichen Debatte, in der die Tat mit Arbeitslosigkeit, Rechtsradikalismus, Alkoholismus und sozialer Verwahrlosung begründet wurde, gab sich Veiel mit diesen einseitigen stereotypen Tatmotiven nicht zufrieden. Mit der Dramaturgin Gesine Schmidt und begab er sich selbst auf Spurensuche nach Potzlow und sprach mehrere Monate mit Tätern, Freunden des Opfers und Dorfbewohnern. Akribisch recherchierten sie Akten, Anklage, Plädoyers und Urteil des Gerichtsprozesses. Ihre Ergebnisse verdichteten sie zu einem Protokoll, das zunächst als Theaterstück Der Kick und nun auch in dem gleichnamigen Film versucht, die Biographien und Motive hinter der entsetzlichen Tat sichtbar zu machen.

In seinem Film beschränkt sich Dokumentarfilmer Veiel auf die Mittel des Theaters. Einziger Schauplatz ist eine leere Fabrikhalle, ein nüchterner Ort, der an einen verlassenen Verhörraum erinnert. Über zwei Schauspieler, Susanne-Marie Wrage und Markus Lerch, lässt Veiel in insgesamt 20 Rollen die Täter, Dorfbewohner, Freunde von Marinus Schöberl zu Wort kommen. Der vielfache Rollenwechsel funktioniert über Licht- und Kameraarbeit und vor allem über Gestik, Mimik und kleine Akzentverschiebungen in der Körpersprache. So sind das bloße Einrollen der Schultern, das Senken des Kopfes, das Vergraben der Hände in den Hosentaschen subtile Indizien für eine komplett neue Figur. Die vielen Close-up-Aufnahmen fangen minutiös selbst das kleinste Mundzucken, Handzittern oder nervöses Blinzeln ein. Auch der Klang und die Lautstärke der Stimme spiegeln die angedeutete Identität der jeweiligen Person wieder. Kostüm, Maske und Ausstattung bleiben während des Films unverändert.

Die Erklärungsversuche der schrecklichen Tat münden auch bei Veiel in ein Ursachengemeng von Chancen- und Perspektivlosigkeit einer ökonomisch strukturschwachen und sozial vernachlässigten Region, aus der Jugendkriminalität immer bedrohlicher hervorgeht. Doch wo andere solche Täter als kaltblütige Monster darstellen, begreift Veiel sie als Opfer einer gescheiterten Gesellschaft, die am Ende immer noch Menschen mit einer eigenen Biographie bleiben.

Der Kick ist filmisches Theater mit dem Unterschied, dass es sich von der Theater-Totale loslöst und uns jede noch so kleine Regung auf das Großformat der Kinoleinwand holt. Im Theater sucht sich jeder seine präferierte Einstellung heraus. Details entgehen, wenn man nicht in den ersten Reihen sitzt. Die Close-up-Einstellung im Kino wird zum Privileg, aber gleichzeitig auch zum Entzug der Entscheidungsfreiheit darüber, was wir sehen möchten.

Der Kick ist nicht der einzige Film, der sich mit dem Mordfall Marinus Schöberl befasst. Anders als Veiel untersucht Tamara Milosevic mit Zur falschen Zeit am falschen Ort das Milieu am Tatort und beschäftigt sich mit dem noch immer schwer traumatisierten besten Freund des Opfers. Beide Filme sind wichtige künstlerische Auseinandersetzungen mit einem unfassbaren Ereignis. Eine behutsame Annäherung ist dadurch geschaffen, das Entsetzen am Ende bleibt.
 

Der Kick

In der Nacht zum 13. Juli 2002 wird der 16 Jahre alte Marinus Schöberl im brandenburgischen Dorf Potzlow von den Brüdern Marco und Marcel Schönfeld und ihrem Bekannten Sebastian Fink zu Tode gequält.

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Meinungen

sarah · 07.10.2010

Er ist zu ruhe gekommen aber das was mit ihn passiert ist, dass sollte jeder wissen, denn sowas passiert überall aber es bekommt keiner mit...
ich finde es sehr gut dass es gedreht wurde, das ist eine art rechtfertigung für den marinus

· 21.10.2006

Ich finde es nicht gut, das es jetzt vefilmt wurde. Lasst Marinus doch einfach in ruhe.
Ich kannt ihn auch zwar nicht so lange wie seine Kumpels in Potzlow. Ich kannte ihn von Gerswalde wo sie ja zu der Zeit wohnten als es geschah. Mir tut immer wieder weh wenn ich davon höre. Ich bin jetzt auch wieder mit den Gedanken sehr aufgefühlt. Muss viel dran denken, an die Zeit wo man sich mit ihn Zb. auf den Sportplatz von Gerswalde getroffen hat.
Lasst ihn bitte zu ruhe kommen.