Der Junge Siyar

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Anti-Heldenreise

Dieses Werk will es einem wirklich nicht leicht machen. In seinem Langfilmdebüt als Regisseur und Ko-Autor erzählt Hisham Zaman von Zwangsheirat, Flucht und geplantem Ehrenmord – aus Sicht einer Person, die man als Zuschauer (insbesondere der westlichen Kultur) als klaren Antagonisten der Geschichte empfindet.
„Warum willst du nach Istanbul?“, wird die titelgebende Hauptfigur relativ zu Beginn von Der Junge Siyar gefragt – „Ich suche meine Schwester“ und „Ich werde sie finden und töten!“, lautet die Antwort, ehe sich der Hintergrund dieser Worte in kurzen Rückblenden entbirgt. Der 16-jährige Siyar (Taher Abdullah Taher) lebt mit seiner Mutter und seinen Schwestern in einem kurdischen Dorf im Nordirak. Seit dem Tod seines Vaters ist Siyar das Oberhaupt der Familie – und so obliegt es ihm, sämtliche Entscheidungen zu treffen. Als der Stammesführer des Nachbardorfes seinen Sohn mit Siyars älterer Schwester Nermin (Bahar Özen) verheiraten will, stimmt Siyar zu. Doch Nermin liebt einen anderen Mann – und flieht mit diesem in die Türkei. Um die Ehre seiner Familie wiederherzustellen, sieht Siyar nur ein einziges Mittel. Er begibt sich daher auf eine Reise, die ihn dazu zwingt, in einem mit Öl gefüllten Tanklastwagen die Grenze zu überqueren.

Siyars offengelegte Motivation macht einen klassischen emotionalen Mitvollzug dieser „Heldenreise“ (vor allem für ein westliches Publikum) zunächst einmal unmöglich – denn das Ziel der Reise (also der Mord an Nermin) ist in keiner Weise erstrebenswert. Dass sich hier dennoch (auch für Zuschauer westlicher Prägung) bei aller Unbegreiflichkeit des Ausgangspunktes und bei aller Ablehnung ein Weg auftut, um dem Film folgen zu können, liegt einerseits an vielen Detailbeobachtungen (etwa zur Situation obdachloser Kinder in Istanbul oder zur weitreichenden Vernetzung des kurdischen Dorf-Clans) – und andererseits an der *inneren* Reise der adoleszenten Titelfigur, die mit einer einschneidenden Begegnung ihren Lauf nimmt. In Istanbul lernt Siyar das Straßenmädchen Evin (Suzan Ilir) kennen: Die von Ilir sehr einnehmend verkörperte Kurdin, die sich wie ein Junge kleidet, um sich auf der Straße behaupten zu können, ist wesentlich moderner eingestellt als Siyar. Ohne von dessen Plan Kenntnis zu haben, schließt sie sich Siyar an. Dieser muss – da Nermin ihm entkommen konnte – die türkisch-griechische Grenze passieren und sich deshalb mit einer Schlepperbande einlassen.

Es ist interessant, in kurzen Blicken und kleinen Gesten von Siyar zu registrieren, wie ein Mensch, der bisher in erster Linie „funktionierte“ statt zu fühlen, etwas in sich entdeckt, was er noch nicht kannte. Ein Wandel vollzieht sich hier. Der Junge Siyar ist aber kein Film, in dem sich alle Konflikte in Wohlgefallen auflösen; vielmehr handelt es sich um eine ambitionierte Tragödie, deren Finale im kalten, verschneiten Oslo zwar etwas konventioneller als die vorangegangenen Akte inszeniert wurde, den Zuschauer dabei allerdings mit einem Maximum an Bitternis konfrontiert. Man muss Zamans Werk letztlich als couragiertes Kino bezeichnen – da es sich an denkbar sperrige Themen wagt, eine denkbar schwierige Figur ins Zentrum stellt und sich bis zum Schluss den einfachen Pfaden verweigert.

Der Junge Siyar

Dieses Werk will es einem wirklich nicht leicht machen. In seinem Langfilmdebüt als Regisseur und Ko-Autor erzählt Hisham Zaman von Zwangsheirat, Flucht und geplantem Ehrenmord – aus Sicht einer Person, die man als Zuschauer (insbesondere der westlichen Kultur) als klaren Antagonisten der Geschichte empfindet.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen