Der große Crash - Margin Call

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Eine Geschichte aus dem Krieg der freien Marktwirtschaft

Ganz leise und diskret kommen sie durch die Tür und beginnen mit dem, was die Betroffenen schlichtweg für ein Blutbad halten. In einem Kreditinstitut an der Wall Street soll kräftig aufgeräumt werden. Und weil man sich bei solchen Unternehmungen in Konzernen ungern selbst die Finger schmutzig macht, sollen externe Freistellungsbeauftragte die „Liquidationen“ mit wohlgesetzten Worten, aber aller Härte vorantreiben.
Einer der Betroffenen ist auch Eric Dale, der in dem Institut das Risk Management leitet und der gerade auf einige Unstimmigkeiten gestoßen ist. Denen nachzugehen, bleibt ihm aber nach seinem Rausschmiss mit sofortiger Wirkung keine Zeit mehr. Immerhin aber kann er seinem jungen Kollegen Peter Sullivan (Zachary Quinto) einen USB-Stick mit Charts überreichen, die erheblichen Sprengstoff in sich bergen. Was Dale nicht mehr vollenden konnte, bringt der brillanten Mathematiker Sullivan zum bitteren Ende – und alarmiert wegen der besorgniserregenden Ergebnisse seine Vorgesetzten. In einer nächtlichen Krisensitzung beschließt der Vorstand, alle toxischen Hypothekenpapiere am nächsten Morgen zu jedem Preis auf den Markt zu werfen – selbst wenn allen Beteiligten klar ist, dass das verheerende Auswirkungen auf die gesamte Branche und die Firma haben wird. Doch in Zeiten wie diesen kommt nur derjenige mit einem blauen Auge davon, der zuerst durch den Notausgang ins Freie drängelt.

Beachtlich ist der Cast, den J.C. Chandor für seine wie ein Thriller aufgebaute Aufarbeitung des Urknalls der letzte Finanzkrise aufgeboten hat- neben Kevin Spacey, Stanley Tucci und Jeremy Irons als skrupellosen, aber nicht immer überzeugenden Firmenchef John Tuld sehen wir Paul Bettany und (eine eher farblos bleibende) Demi Moore sowie die beiden Jungmimen Zachary Quinto, dessen raubvogelhafte Augenbrauen Chandor in der entscheidenden Szene wunderbar einzufangen weiß und den Sidekick Penn Badgley, der mit seinen seltsam unpassenden weißen Socken zum feinen Businesszwirn wie ein Schuljunge wirkt.

Das Irritierende ist die Kühle und Distanz, mit der Chandor seine Figuren selbst angesichts der größten Not agieren lässt. Zwar wird stets betont, wie ernst die Lage ist, wie „grausam“ und „häßlich“ es in den nächsten Stunden werden wird, doch nie fällt ein lautes Wort und beinahe die einzige Art der Verzweiflung, die wir sehen, ist die Trauer des altgedienten Bankers Sam Rogers (Kevin Spacey) über seinen im Sterben liegenden Hund.

Durchaus gelungen sind die Hierarchien und Machtrituale, die Chandor mit ruhiger Hand und analytischem Blick entfaltet. Ganz unten beginnt das Verhängnis und arbeitet sich auf den verschlungenen Kanälen der Macht Etage um Etage, Führungsebene um Führungsebene nach oben, bis die Katastrophe schließlich alle im selben Boot (in diesem Fall ist es ein Konferenzraum) sitzen lässt.

Natürlich drängt sich aufgrund der Thematik der Vergleich mit Wall Street förmlich auf, doch wo Oliver Stone als Moralist die eindeutigen Zuordnungen von Gut und Böse benötigt, liegt bei Chandor der Fehler vor allem im System, in der branchenimmanenten Hybris aller Beteiligten, in ihrer Unfähigkeit, wie normale Menschen zu empfinden und über die Grenzen ihres Elfenbeinturms hinauszuschauen und die Folgen ihre Zahlenspielerei zu überblicken.

Zwar ist Margin Call in seiner Beschränkung auf eine Handvoll Figuren und in der Knappheit der erzählten Zeit (gerade einmal 24 Stunden sind es, in denen die Katastrophe ihr volles Ausmaß erreicht) durchaus fesselnd, doch irgendwie wird man das Gefühl nicht los, dass dieser Film ein wenig zu spät dran ist – der Look erinnert immer wieder an Filme aus den 1990ern. Insbesondere dann, wenn Zeitrafferaufnahmen vor dem Panorama Manhattans sich Wolkenberge in sprichwörtlicher Windeseile verschieben und man so überdeutlich vor Augen geführt bekommt, welch ein Sturm sich hier zusammenbraut. Andererseits, so bekommen wir immer wieder erzählt, ist die Krise längst überwunden – auch wenn die nächste bereits lauert. Und da offensichtlich niemand bereit ist, aus den Erkenntnissen vergangener Crashs zu lernen, dreht sich das Karussell genau in diesem Moment schon wieder weiter – bis die Musik abermals aufhört zu spielen, um einen Vergleich John Tulds im Film zu bemühen.

So engagiert Chandors Analyse der systemimmanenten Ursachen und der Abgehobenheit der Wall-Street-Banker, die sich vor allem immer wieder über ihre verklausulierte Sprache äußert, auch sein mag – läuft die Kritik, die der Film äußert, doch weitgehend ins Leere. Die Musik hat bereits wieder an Fahrt aufgenommen, der Tanz kann beginnen. Bis zu jenem nächsten Moment der brutal eintretenden Stille.

Der große Crash - Margin Call

Ganz leise und diskret kommen sie durch die Tür und beginnen mit dem, was die Betroffenen schlichtweg für ein Blutbad halten. In einem Kreditinstitut an der Wall Street soll kräftig aufgeräumt werden. Und weil man sich bei solchen Unternehmungen in Konzernen ungern selbst die Finger schmutzig macht, sollen externe Freistellungsbeauftragte die „Liquidationen“ mit wohlgesetzten Worten, aber aller Härte vorantreiben.
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Meinungen

PhilipHu · 30.03.2012

"So engagiert Chandors Analyse der systemimmanenten Ursachen und der Abgehobenheit der Wall-Street-Banker, die sich vor allem immer wieder über ihre verklausulierte Sprache äußert, auch sein mag – läuft die Kritik, die der Film äußert, doch weitgehend ins Leere. Die Musik hat bereits wieder an Fahrt aufgenommen, der Tanz kann beginnen. Bis zu jenem nächsten Moment der brutal eintretenden Stille."

Aber genau das ist doch der Punkt und genau das macht den Film so stark! In purem Realismus schildert er die Dinge, wie sie sind und - unerfreulicherweise - auch bleiben werden. Die globale politische Klasse bekommt es nicht einmal hin, eine Transaktionssteuer auf die gefährlichen, hochriskanten Geschäfte einzurichten. Eben weil die Finanzelite in Ihren Elfenbeintürmen und mit ihren moral- und ethikfreien, hochintelligenten und höchst egoistisch denkenden Arbeitern die Dinge regeln. Von Krise zu Krise, immer darauf acht gebend, dass die Musik - trotz all des Risikos und der kaum zu bändigenden Gier des immer mehr, mehr, mehr - irgendwie weiterspielt.

Für mich hinterlässt das deutlich mehr Eindruck und bringt die Finanzkrise von 2008 ff. in all ihren Facetten auf den Punkt.