Der Flug der Störche

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein Thriller mit unaufgelöstem Thrill

Da fährt der junge Intellektuelle Jonathan Anselme (Harry Treadaway) mit seinem schweren Motorrad ins schweizerische Montreux, um dort den Vogelkundler Max Bohm (Danny Keogh) zu besuchen, und findet diesen auf seinem ländlichen Anwesen tot auf. Die Leiche des wohlhabenden, älteren Mannes mit einer besonderen Vorliebe für Störche, die auch in seinem Garten residieren, liegt mit aufklaffender Körpermitte rücklings im Storchennest – ein Anblick, der den ohnehin traumatisierten Jonathan zutiefst verstört. Dass Max Bohm nicht nur ein alter Freund der Familie war und Jonathan ihn nicht nur bei seinen Storchenprojekten unterstützt hat, sondern offensichtlich auch sein Patient im Rahmen einer Hypnosetherapie war, zeigen bald die Erinnerungen des jungen Mannes, der anscheinend früh seine Eltern verlor und in dem Vogelliebhaber eine Art väterlichen Freund sah.
Geplant war, dass Jonathan im Auftrag von Bohm die Kontaktpersonen an den Stationen der internationalen Flugroute der Störche aufsucht, die mit Sendern ausgestattet von Südafrika nach Europa fiiegen und von denen in der letzten Zeit häufig einige verloren gingen. Der seltsame Kommissar Hervé Dumaz (Clemens Schick), der den Todesfall untersucht, ermuntert Jonathan dazu, diesen Auftrag dennoch auszuführen, und damit setzt sich ein undurchsichtiges, schwelend intensives Roadmovie fort, das den zunehmend verwirrten Protagonisten mit seiner verschleierten Vergangenheit konfrontiert…

Ursprünglich als Zweiteiler für das französische Fernsehen produziert, erscheint Der Flug der Störche nach dem gleichnamigen Debüt-Roman von Jean-Christophe Grangé (Die purpurnen Flüsse, Das schwarze Blut) unter der Regie von Jan Kounen (Dobermann, 1997, Darshan – Die Umarmung 2005, Coco Chanel & Igor Stravinsky, 2009) nun bei Concorde Home Entertainment auf DVD. In einer Kombination aus Roadmovie und Psychothriller folgt der Zuschauer dem einsam wirkenden, von vagen, wirren Erinnerungen heimgesuchten Helden auf der Spur der Störche und jener seiner von düsteren Geheimnissen umwobenen Familiengeschichte, von Bulgarien über Israel bis in den Kongo. Nur schemenhaft und in kryptischen Andeutungen enthüllt sich währenddessen allmählich der Hintergrund dieser beklemmend inszenierten Geschichte um Identität, Diamantenschmuggel und Herztransplantationen, vor dem die Störche wie schamlose Aasfresser und korrumpierte Boten menschlicher Habgier herumflattern, für den illegalen Ausflug von Rohdiamanten aus Afrika missbraucht. Symbolträchtig und mit dumpfer Intensität vor allem bei der Darstellung ihrer inneren Befindlichkeiten manövriert der Film seine fragile Figur durch einen Sumpf an Selbsterforschung, lässt ihn liebevoll der gleichfalls vereinsamten Sarah (Perdita Weeks) sowie derbe dem dämonischen Herzchirurgen Sonderman (Rutger Hauer) begegnen, flankiert von einem Abgrund an unterschiedlichsten Empfindungen.

Selbst am Schluss des Films lässt sich die verwickelte Vergangenheit, die Jonathan peinigend verfolgt, nicht eindeutig klären oder nachvollziehen, so dass einige Zusammenhänge der Geschichte im Reich des Spekulativen verharren. Am Ende wird lediglich transportiert, dass Jonathan sich aus den Wirren seiner Verstrickungen befreit hat und wohl ein neues Leben beginnen wird, doch die Motivationen und Wege der meisten übrigen Protagonisten bleiben undurchdringlich, so dass dem interessierten und unbefriedigten Zuschauer wohl nur die Lektüre der literarischen Vorlage zu empfehlen ist. Für sich betrachtet bietet Der Flug der Störche packende, tiefgründige Spannung innerhalb eines vielschichtigen Thrillers, der zwar nachhaltig berührt, seine dramaturgischen Schlüsse jedoch kaum preisgibt. Dass der Film dennoch keine geringe Faszination ausübt und gar das Bedürfnis weckt, sich diesen mit dem Wissen um seine Entwicklung erneut anzuschauen, zeugt von seiner unorthodoxen Qualität, die sich vor allem in den stimmigen bis hervorragenden schauspielerischen Leistungen ausdrückt. Hauptdarsteller Harry Treadaway versteht es mit seiner authentischen Präsenz zwischen sanfter Sensibilität, verwirrter Verlorenheit und verzweifelter Gegenwehr ganz ausgezeichnet, die Rätselhaftigkeit der Geschichte und des Charakters zu vermitteln, und Clemens Schick besticht prägnant als sonderbarer Ermittler, dessen Rolle mehr Fragen aufwirft als beantwortet, während Perdita Weeks als tapfere, gewiefte Sarah überzeugend eine starke, ambivalente Frauenfigur verkörpert.

Es ist nicht zuletzt die ungeschnörkelte, auf gängige Klischees gesellschaftlicher, politischer und kultureller Art verzichtende Erzählhaltung von Der Flug der Störche, der bewusst auf seine geheimnisvolle Wirkungsmacht setzt, die diesen als modernen Thriller mit einer selbstverständlichen Inszenierung sozialer „Realitäten“ in den unterschiedlichsten Zusammenhängen auszeichnet. Den bedeutsamen Aspekten der Fremdheit und Nähe werden hier überwiegend nur persönliche Beziehungen zugeordnet, während die soziokulturelle Umgebung puristisch vernachlässigt wird, woraus eine unmittelbare, bewegende Reduktion auf das Menschliche und seine Beziehungen entsteht, jenseits von den üblichen Grenzmarkierungen und gewöhnlich inhärenten Milieuzeichnungen gängiger Thriller.

Der Flug der Störche

Da fährt der junge Intellektuelle Jonathan Anselme (Harry Treadaway) mit seinem schweren Motorrad ins schweizerische Montreux, um dort den Vogelkundler Max Bohm (Danny Keogh) zu besuchen, und findet diesen auf seinem ländlichen Anwesen tot auf.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen