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Paris, Stadt der Geister. In „Der flüssige Spiegel“, dem ersten Spielfilm des französischen Regisseurs Stéphane Batut, streift der verstorbene Juste einsam umher, auserwählt, um die Toten auf ihrem letzten Weg zu begleiten. Als er dabei die sterbliche Agathe kennenlernt und sich verliebt, verschwimmt seine Welt zunehmend — und er strebt wieder nach dem Leben.

Der flüssige Spiegel (2019)

Eine Filmkritik von Elisabeth Hergt

Nicht von dieser Welt

Welche letzte Erinnerung würde man wohl selbst noch einmal durchleben wollen, bevor man für immer verschwindet? Der Geist Juste, ein junger Mann aus Paris, taucht in „Der flüssige Spiegel“ als eine Art Seelsorger genau in diese Gedankenwelten ein und führt die Toten durch ihre finalen Momente. Er selbst wandelt dabei unsichtbar und gedankenverloren durch eine Stadt, die er als Mensch nicht mehr bewohnt. Erst durch die schöne Agathe wird für ihn die Nähe zum Leben wieder ein Stück weit spürbar. Regisseur Stéphane Batut vereint in diesem melancholischen Film die Liebe mit dem Tod und lässt dabei grenzüberschreitend die Stimmungsbilder mehrerer Existenzen fließend ineinander übergehen.

Juste (Thimotée Robart) muss der Seine entsprungen sein, denn das Wasser wirkt immer wieder wie ein Zufluchtsort oder auch ein Portal für diesen jungen Mann, der sich seiner neuen Realität noch nicht bewusst ist. Er scheint keine Erinnerung mehr an sein Ableben zu haben und muss von Alpha (Djolof Mbengue) über seine neue Existenz aufgeklärt werden. Alpha selbst könnte man als Geist im Ruhestand bezeichnen, denn er lebt zurückgezogen mit seiner Frau Baïlo (Marie-José Kilolo Maputu) in der Stadt und führt ein kleines Geschäft. Juste hingegen ist unsichtbar und befindet sich gewissermaßen noch in der Schwebe. Schon bald wird er jedoch von der mysteriösen Ärztin Kramarz (Saadia Bentaïeb) als Bote auserwählt, um anderen Toten beizustehen und sie mittels ihrer letzten Erinnerungen zu ihr zu bringen.

Jahre später scheint Juste sich an sein neues Dasein gewöhnt zu haben. Auffällig an ihm ist nun die dunkle Glitzerjacke, die er immer trägt, wenn er einsam durch die Straßen von Paris streift, bis zu jenem Tag, an dem er Agathe (Judith Chemla) begegnet. Ohne jeden Zweifel scheint er nur für sie zu existieren und umgekehrt erinnert Juste sie an jemanden, den sie mal kannte und geliebt haben muss. Eine Spur, die sich verloren hat. Die beiden kommen sich auf natürliche Art und Weise näher und bilden ein fast gewöhnliches Paar, nur das Juste schon bald die Strafe von Kramarz fürchtet, denn eine solche Begegnung mit dem Leben hat Folgen. Einmal besucht er seinen Vater, der sich nur bedingt an einen fröhlichen Jungen erinnert und ein anderer Geist versichert ihm später: „Du kommst schließlich, um das Leben zu spüren“, so als wüsste er, dass Juste, wie viele rastlose Seelen, wohl jetzt nachholen will, was ihm bisher verwehrt blieb.

Der Film ist poetisch und in ebenso wechselwirkend ruhige, wie sinnliche Bilder gehüllt, ohne, dass dabei die Tragik um das unerreichbare Glück zu ausufernd großen Gesten führt. Die Menschen, denen Juste innerhalb ihrer eigenen Erinnerungen derweil folgt, verarbeiten ihr Schicksal naturgemäß unterschiedlich und klammern sich an die letzten Gedanken, die sie für sich wählen. Auf dieser Ebene der Erzählung würde man sich gerne noch länger aufhalten, auch um mehr über das System des Sterbens zu erfahren und um den Frieden nachzuempfinden, den die Betroffenen letztendlich mit sich schließen. Als La Nonna (Cecilia Mangini), Agathes Großmutter, stirbt, erkennt auch Juste, dass eine perfekte Vision die Wirklichkeit zwar erträglicher macht, aber nicht ersetzt. Und dennoch steckt nach der Angst vor dem Tod viel Anfang im Ende.

Über all diese minimalistisch eingebauten Bedeutungsansätze legt sich dabei imposant die Musik von Benoît de Villeneuve, Gaspar Claus und Reno Isaac, sowie speziell das Adagio sostenuto von Sergei Rachmaninoff zum 2. Klavierkonzert in c-Moll, op. 18, gespielt von Lang Lang. Der Himmel über Paris wirkt so noch erhabener, das Wasser etwas tiefer und die Figuren noch facettenreicher.

Stéphane Batut hat als Casting Director schon an zahlreichen Filmen mitgewirkt, zuletzt bei Benedetta von Paul Verhoeven. Als Regisseur legt er hier ein visuell spielerisches, atmosphärisch dichtes, aber auch inhaltlich vage bleibendes Spielfilm-Debüt vor, das über den Abspann hinaus Fragen aufwirft, auf die es keine klaren Antworten geben kann. Schließlich wäre es schon interessant zu wissen, ob man sich selbst nach dem Tod noch mal begegnet oder dann auch wirklich diese eine Erinnerung parat hat, die alles besser macht. Tröstlich bleibt zumindest der Gedanke, dass es auf der anderen Seite vielleicht jemanden wie Juste gibt, der einen abholt.

Der flüssige Spiegel (2019)

Juste durchstreift die Straßen von Paris auf der Suche nach den letzten Erinnerungen von Menschen, die nur er sehen kann, bevor er ihnen auf ihrem Weg ins Jenseits hilft. Denn Juste ist ein Geist. Doch dann trifft er eines Tages auf Agathe, die ihn wiedererkennt. Denn sie kannte ihn aus der Zeit, als er noch als Mensch auf der Erde lebte. 

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