Der Dieb von Paris (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Jean-Paul Belmondo als kühler Charakter Louis Malles

Ist es auch eine romantisch motivierte, nichtsdestotrotz kühl kalkulierte Verzweiflungstat, die den jungen Georges Randal (Jean-Paul Belmondo) erstmals zum Dieb werden lässt, kann er doch fortan das Rauben nicht mehr lassen. Georges entwickelt sich stetig zu einem gleichermaßen passionierten wie professionellen Entwender wertvollen fremden Eigentums. Die Geschichte, wie es dazu kam und mit welchem Lebensstil dieses Dasein verbunden ist, erzählt er höchstpersönlich, während er gerade in einer ländlichen Gegend unweit von Paris ein luxuriöses Landhaus nach seinen kleinen und größeren Schätzen durchstöbert. Dieser nächtliche, ausführliche und geradezu kontemplative Raubzug in Abwesenheit der Bewohner bildet die Rahmenhandlung des mittlerweile fünfzig Jahre alten Films Der Dieb von Paris / Le voleur, der nun hierzulande auf DVD und Blu-ray herauskommt.

Im auslaufenden 19. Jahrhundert ist Georges Randal noch ein Junge, als sein Vater verstirbt und er somit zum Waisen wird, weil seine Mutter bereits gegen Ende der Schwangerschaft mit ihm zu Tode kam und er sozusagen pränatal aus ihrem Leib herausgeschnitten werden musste. Sein Onkel (Christian Lude), der ihn von nun an in Obhut nimmt, heimst angelegentlich auch sein Erbe ein, doch das gemeinsame Aufwachsen mit seiner reizenden, etwas jüngeren Cousine Charlotte (Geneviève Bujold), mit welcher ihn später ein heimliches Liebesverhältnis verbindet, tröstet Georges über einiges hinweg. Als die jugendliche Charlotte jedoch einen anderen Mann heiraten soll und auch noch einwilligt, ist der gerade vom Militär zurückkehrende Georges zutiefst verletzt, denn er liebt seine Cousine aufrichtig. Kurzerhand entschließt er sich, die Familie von Charlottes Verlobtem auszurauben, und tatsächlich geht sein Plan auf, denn das Eheversprechen wird daraufhin gelöst.

Georges geschickter Diebstahl bleibt zwar seinem Onkel, nicht jedoch dem gewieften Gaunerboss Abbé Félix La Margelle (Julien Guiomar) verborgen, der als vertrauenswürdiger Geistlicher auftritt, eine ganze Horde von Kriminellen mit speziellen Talenten koordiniert und über ein stabiles, weitverzweigtes Netzwerk in Sachen Hehlerei verfügt. So gesellt sich Georges fasziniert unter die Fittiche des angeblichen Abbés, der sogleich einen Coup für ihn organisiert und auch für seine soziale Integration in die entsprechenden Kreise sorgt. Auf seinen Antrag, Charlotte von ihrem achtlosen Vater fort mit in seine neuen Lebenswelten zu nehmen, erhält er ihre Absage, und es wird eine lange Weile vergehen, bis sich die beiden innerlich eng miteinander verbundenen Liebsten wiedersehen werden.

Derweil erobert sich Georges mit seiner ruhigen, konzentrierten und überaus geschickten Art Reichtum und Respekt im Diebesuniversum, etabliert sich in der illustren Gemeinschaft und findet mit Geneviève (Marie Dubois) eine so attraktive wie zugeneigte temporäre Gefährtin und Geliebte, die ebenso wie er selbst eine lockere, freiheitliche Beziehung bevorzugt. Innerhalb der bewegten bis revolutionären französischen Gesellschaft jener Zeiten sind auch die Ganoven in politische Umtriebe verstrickt, und eines Tages wird der davon zumeist unberührte Georges entsandt, um den gerade entflohenen, verurteilten Jean-François Cannonier (Charles Denner) zu warnen, der eine Revolution plant und auf den in Paris bereits die Polizei wartet. In kürzester Zeit freunden sich die beiden Diebe miteinander an und begehen gemeinsam einen Zufallsraub, doch später wird Cannonier erschossen, was Georges erneut in seine strenge Einsamkeit versinken lässt, zumal seine übrigen Kollegen allmählich aus der Branche aussteigen. Georges geht nach London, um dort seine Karriere als Einbrecher fortzusetzen, und eines Tages taucht Charlotte dort auf …

Der französische Filmemacher Louis Malle (1932-1995), der in rund vier Jahrzehnten überwiegend nach eigenem Drehbuch so großartige wie immens unterschiedliche Filme (Fahrstuhl zum Schafott / Ascenseur pour l’échafaud, 1957, Herzflimmern / Le souffle au coeur, 1971, Eine Komödie im Mai / Milou en mai, 1990) inszeniert hat, setzt mit Der Dieb von Paris aus dem Jahre 1967 ebenfalls ganz individuelle Maßstäbe. Anhand des fiktiven Selbstporträts des eigensinnigen, eleganten und einsamen Räubers Georges Randal, der bravourös kühl von Jean-Paul Belmondo verkörpert wird, führt Louis Malle die distinguiert und doch lebenslustig dargestellte Diebesgemeinschaft als kritischen, kriminellen Gegenentwurf zur bürgerlichen Gesellschaft vor, die durch die Aufrechterhaltung sozialer Ungleichheit möglicherweise permanent das größere Verbrechen vollführt.

Doch Georges ist nicht einmal politisch motiviert, sondern nach eigener Aussage schlichtweg ein Süchtiger, der dem brisanten Erlebnis verfallen ist, wiederum nicht erwischt zu werden. Dieses Geständnis gelingt ihm gegen Endes des Films in den Armen seiner geliebten Charlotte, die ihn bittet, doch den gefährlichen Lebensraum zu verlassen und zu ihr in die bürgerliche Fassade zu wechseln – ein bedeutsamer Moment, den Louis Malle seine Charaktere sensibel und würdig erfahren lässt, die Zerrissenheiten einer intimen Verbindung zärtlich zelebrierend. Geradezu rituell und mit ausgedehnter Intensität gestaltet der Regisseur bestimmte Sequenzen von Einbrüchen, in denen sich Georges’ Passion entfaltet, einmal gemeinsam mit dem flüchtigen Cannonier, mit dem sich beinahe so etwas wie eine zugeneigte Freundschaft zwischen Gleichgesinnten entwickelt. Doch Georges verbleibt allein in seiner gefährlichen Leidenschaft, und wenn er am Ende mit reicher Beute im Zug nach Paris sitzt, bleibt ungewiss, welche Entscheidung er letztlich für sein künftiges Leben fällen wird. So bleibt Der Dieb von Paris ein rätselhafter, schwermütiger Film, dessen Stimmungen trefflich geeignet sind, vage angedeutete Abgründigkeiten der menschlichen Existenz zu berühren.
 

Der Dieb von Paris (Blu-ray)

Ist es auch eine romantisch motivierte, nichtsdestotrotz kühl kalkulierte Verzweiflungstat, die den jungen Georges Randal (Jean-Paul Belmondo) erstmals zum Dieb werden lässt, kann er doch fortan das Rauben nicht mehr lassen. Georges entwickelt sich stetig zu einem gleichermaßen passionierten wie professionellen Entwender wertvollen fremden Eigentums.

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