Der alte Mann und das Kind

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Montag, 21. September 2015, ARTE, 20:15 Uhr

Mit Der alte Mann und das Kind aus dem Jahre 1967 hat der französische Filmemacher Claude Berri (1934-2009) ein Spielfilmdebüt mit autobiographischem Hintergrund realisiert, das zur Zeit des Vichy-Regimes in Frankreich spielt. Hatte der später im Rahmen seiner enorm erfolgreichen Laufbahn gern auch als „Le parrain“ – Der Pate – bezeichnete Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler auch bereits mit seinem ersten Kurzfilm Le poulet von 1965 einen Oscar gewonnen, eröffnet doch sein erster langer Film mit seiner souveränen Inszenierung und seiner eindrucksvollen Intensität eine imposante Werkgenese von vielschichtigen französischen Komödien und Tragödien, meist kunstvoll miteinander kombiniert.
Es ist ein unruhiges, stets bedrohtes Leben, das der achtjährige jüdische Junge Claude Langmann (Alain Cohen) mit seinen Eltern (Zorica Lozic, Charles Denner) im besetzten Frankreich während des Zweiten Weltkriegs führt, stets in der Angst vor Entdeckung und Deportation durch die Pétain-Regierung. Schließlich entscheiden sich die Langmanns dazu, Claude über die Vermittlung einer Freundin bei deren katholischen Eltern in der ländlichen Region um Grenoble einzuquartieren. Rasch wird der aufgeweckte Junge in die notwendigsten Gepflogenheiten des Katholizismus eingeweiht und dann mit inbrünstigen Glückwünschen in die Familie des überzeugten Pétain-Anhängers Pépé (Michel Simon) geschickt.

Die allmählich innige Beziehung zweier komplett unterschiedlicher Seelenverwandter – ein eigensinniger, engstirniger, antisemitisch orientierter alter Mann und ein junger jüdischer Freigeist mit brisantem Geheimleben – steht im Mittelpunkt dieser nachhaltig berührenden Tragikomödie, die auf gleichermaßen eindringliche wie heitere Art die Perversität von festgefahrenen Vorurteilen entlarvt. Der alte Mann und das Kind als noch immer und gerade heute in Zeiten regelrecht absurder „Flüchtlingsdebatten“ unbedingt sehenswertes Bravourstück beschwört einerseits die Magie der Kindheit als Basis für eine Entwicklung von kritischer Kreativität und postuliert andererseits eine Humanität jenseits auch noch so verstockter Grundeinstellungen, deren verrottetes Repertoire sich lediglich als Panzer vor ganz persönlichen und spontanen Wesensregungen aufbäumt – ein kluger und wunderbarer Film mit einem ebensolchen Ende, das in seiner schlichten Weisheit keiner moralischen Selbstbekräftigung bedarf.

Der alte Mann und das Kind

Mit „Der alte Mann und das Kind“ aus dem Jahre 1967 hat der französische Filmemacher Claude Berri (1934-2009) ein Spielfilmdebüt mit autobiographischem Hintergrund realisiert, das zur Zeit des Vichy-Regimes in Frankreich spielt.
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