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Nach einer ausgedehnten Festivaltour kommt Cyril Schäublins Langfilmdebüt knapp zwei Jahre nach seiner Premiere in die deutschen Kinos – und zeigt, wohin unsere Gesellschaft steuern könnte.

Dene wos guet geit (2017)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Die Poesie der Passwörter

Die Lust am Genre, aber auch an formalen Experimenten wächst derzeit im deutschsprachigen Film. Mit Cyril Schäublins Debüt kommt im Sommer 2019 ein beachtliches Werk in die Kinos, das zwischen beklemmendem Zukunftsszenario und unterschwelliger Satire schwankt. Klug, kühn, sein Publikum fordernd.

Der 1984 geborene Zürcher stammt aus einer Uhrmacherfamilie – und präzise wie ein Uhrwerk tickt sein Film seinem Ende entgegen. In durchdachten Stadtansichten seines Geburtsorts, die kaum Übersicht gewähren und ihre Figuren beinahe verschlucken, sehen wir einem überschaubaren Ensemble bei seinem Alltag zu: einer Reihe Bundespolizisten, zwei Stadtpolizisten, zwei Rentnerinnen, einem Krankenpfleger, einem Arzt, diversen Bankangestellten und Alice Türli (Sarah Stauffer), die in einem Callcenter kostengünstiges Internet und eine neue Krankenkasse an die Eidgenossen bringen soll.

Ihr eintöniger Job hat Alice, deren wahrer Name erst wenige Minuten vor Schluss fällt, auf eine Idee gebracht. Im Umgang mit Kunden geübt, bringt sie alte Damen mit dem Enkeltrick um ihr Erspartes. Ein Betrug, den immer mehr Schweizer Einzeltäter verüben, wie einer der Kriminalbeamten einem Bankangestellten erklärt. Ansonsten passiert nicht viel. Ein ums andere Mal unterhalten sich die Figuren über kostengünstiges Internet und Krankenkassenbeiträge. Und doch verströmt Schäublins Debüt von der ersten Sekunde an ein beunruhigendes Gefühl, so klaustrophobisch, in solch dokumentarischer Qualität hat der Regisseur und Drehbuchautor seine düstere, in entsättigten Grautönen und Cremefarben gehaltene Zukunftsvision gestaltet. Oder ist sein Szenario längst Gegenwart?

Eine Dystopie wird umso erschreckender, je näher sie an die eigene Lebenswirklichkeit rückt. Die Anthologie-Serie Black Mirror macht das seit 2011 vor. Hier erwächst der Horror nicht aus irgendwelchen weit entfernten Albträumen, sondern aus einer nur wenige Momente in die Zukunft gedachten Technik, die uns aus unserem Alltag wohl vertraut ist. Schäublin verfährt noch subtiler. All die in seinem Film verwendeten Geräte und Methoden gibt es bereits und doch irritiert es, wenn die Callcenter-Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz nicht per Chipkarte, sondern durch das Scannen ihres Zeigefingers ein- und ausstempeln, wenn sie im Gespräch mit potenziellen Kunden zu deren „eigener Sicherheit“ Adressen und Kontostände abfragen oder wenn Bundespolizisten in voller Kampfmontur in Bahnhofsnähe Personalien kontrollieren.

Im Grunde erzählt dieser Film 71 kurze Minuten lang nichts und dabei doch von so vielen drängenden Problemen unserer Zeit. Schäublin zeigt eine Welt, in der jeder permanent auf einen Bildschirm starrt. Selbst bei einem Gespräch mit Kaffeebecher und Zigarette in den Händen wenden die Gesprächspartner den Blick kaum einmal vom Smartphone ab. Es ist eine Welt, in der es wichtiger ist, WLAN-Passwörter, PIN-Codes und TAN-Nummern aufzusagen, als sich an einen Film- oder einen Musiktitel zu erinnern, den man gestern erst gesehen oder gehört hat. All das inszeniert Schäublin nicht en détail, nicht in Großaufnahme, sondern nebenbei, an den Bildrändern oder aus großer Entfernung. Das Rauschen der Limmat und des Straßenverkehrs ersetzt die Musik.

Eins der Lieder, an die sich die Figuren nicht erinnern können, könnte Manni Matters Song sein, von dem sich Schäublins Debüt seinen Titel geborgt hat. „Dene wos guet geit/ Giengs besser/ Giengs dene besser/ Wos weniger guet geit/ Was aber nid geit/ Ohni dass’s dene/ Weniger guet geit/ Wos guet geit“, hat der 1972 verstorbene Matter in der ersten Strophe gesungen. Denn auch davon erzählt Schäublin, von ungleich verteiltem Vermögen und der schwindenden Bereitschaft, zum Wohle der Allgemeinheit vom eigenen Reichtum ein Stück abzugeben.

Wie die Zahnräder eines Uhrwerks greifen die zunächst unzusammenhängend erscheinenden Episoden am Ende ineinander. Wo Black Mirror meist mit großer Geste auf Schrecken, mal auf Farce setzt, ist man beim mit Bedacht vorgetragenen Dene wos guet geit über die Gedankenlosigkeit und Leichtfertigkeit der Menschen erschaudert oder amüsiert – je nachdem, ob man den Film als Drama oder als Satire begreift. Am Ende ist er wohl beides.

Dene wos guet geit (2017)

Alice arbeitet in einem Callcenter in der Peripherie von Zürich. Sie verkauft Internet- und Krankenkassenangebote an Unbekannte am anderen Ende der Leitung. Nach der Arbeit geht sie durch die Stadt, in welcher alles reibungslos zu funktionieren scheint. Inspiriert von ihrem Job ruft sie alleinstehende Grossmütter an und täuscht ihnen vor, sie sei ihre Enkelin in Geldnot. Während sie mit diesem Trick schnell ein Vermögen verdient, erkundet der Film Orte und Menschen in Zürich, welche alle auf seltsame Weise mit der Tat von Alice in Verbindung stehen.

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