Das Zimmermädchen Lynn (2014)

Die große Kunst des Filmens

Welche Formstrenge, welche Ästhetik. Welch großes Bewusstsein des richtigen, des ausschließlich möglichen filmischen Ausdrucks. Ingo Haeb, der zuvor mit angenehmen Komödien zwar gefallen hat, aber nicht groß aufgefallen ist, steigt mit Das Zimmermädchen Lynn in die große Kunst des Filmens ein.

Das Porträt einer Verlorenen, von der wir nie erfahren, wie verloren sie ist, auf welche Weise, wie sehr, wie tief. Und die genau deshalb fasziniert. Und deren Charakter das karge, aber klare, das distanzierte, aber emotionale Filmbild, das Haeb und seine Kamerafrau Sophie Maintigneux entwerfen, perfekt widerspiegelt.

Lynn putzt. Zuhause. Während auf dem Laptop Jacques Tati läuft. Lynn telefoniert mit ihrer Mutter, von der Telefonzelle aus, es ist Smalltalk, banal und nichtssagend. Lynn besucht den Manager des Hotels Eden zuhause und schenkt ihm geradewegs und unvermittelt einen Blowjob. Sie darf wieder im Eden arbeiten. Was vorher geschehen war, wissen wir nicht. Hat sie gestohlen? Hat es etwas mit dem angedeuteten vorherigen Psychiatrie-Aufenthalt zu tun? Was aber war ihr Problem? Hat sie sich schon zuvor, vor der filmischen Erzählung, unter die Betten der Hotelgäste verkrochen, um sie heimlich zu beobachten?

Dies scheint der neue Kick in Lynns Leben zu sein. Direkt beim Gast mitzuerleben, wie er unter der Dusche singt und mit der Frau telefoniert. Oder wie sich eine andere Hotelbewohnerin nach dem Theater Gedanken um ihre Füße und ihren Galan macht. Lynn nimmt sich ein Handtuch mit, als Kopfkissen für die Nacht; einen Picknick-Imbiss; auch mal Sudoku — meist ist es ja langweilig, weil die Gäste einfach nur schlafen, doch für Lynn ist dies soviel Wert, dass sie die Mittwoche ihrer Ausflüge unters Bett farbig im Kalender kennzeichnet.

Irgendwann aber wird das uninteressante Fremde, dem sie sich mit Hingabe ergibt, interessant. Eine S/M-Session erlebt sie mit, aus der Käferperspektive. Und der Film findet zu einem neuen Impuls, zu einer neuen Obsession seiner Lynn. Und vielleicht auch zu so etwas wie neuer Hoffnung.

Haeb setzt alles ein, um ganz im Sinn seiner Geschichte, seiner Figur im Reduzierten zu bleiben, im Stilisierten, irgendwo im irrealen Raum, und zugleich psychologisch in völliger Präsenz. Vicky Krieps, die Hauptdarstellerin, scheint zu schweben, selbst wenn sie gebückt, schwerfällig und leicht tapsig durch die Hotelgänge streift: und sich dann immer wieder auch verwandelt, zu sich selbst kommt. So ähnlich funktioniert auch der Film, der auf faszinierende Weise mit Nähe und Distanz spielt, der letztendlich beides gleichsetzt. Ein besonderer Trick dabei: Die Tonebene wurde dem Bild völlig entkoppelt, nachsychronisiert — aber so perfekt, dass eben doch alles zusammenpasst, auf verquere, fast verstörende, zugleich einnehmende Weise.

Schließlich enthebt sich der Film auf ganz natürliche Weise seiner eigenen Wirklichkeit: und kommt genau so zu sich selbst.

(Harald Mühlbeyer)

Eine ausführliches Interview mit Regisseur Ingo Haeb und Darstellerin Vicky Krieps über Das Zimmermädchen Lynn findet sich in unserem B-Roll Blog: Zum Interview.

Das Zimmermädchen Lynn (2014)

Welche Formstrenge, welche Ästhetik. Welch großes Bewusstsein des richtigen, des ausschließlich möglichen filmischen Ausdrucks. Ingo Haeb, der zuvor mit angenehmen Komödien zwar gefallen hat, aber nicht groß aufgefallen ist, steigt mit „Das Zimmermädchen Lynn“ in die große Kunst des Filmens ein.

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