Das radikal Böse

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Dem Kampf gegen den Weltfeind auf der Spur

Junge Männer in Uniformen im Wald, beim Fußballspiel, beim Strammstehen, beim Baden – es sind fast idyllische Bilder, die Stefan Ruzowitzky inszeniert, der Krieg als fröhliches Abenteuer – wäre da nicht diese Bildstörung, der Splitscreen, der die Szenen jeweils verschoben in dreifacher Weise zeigt, von drei Kameras leicht nebeneinander verschoben gefilmt. Und wären nicht die Voice-Over-Stimmen, die aus Briefen vorlesen, aus Tagebüchern, die direkt damals, an der Ostfront, geschrieben wurden; oder aus Gerichtsprotokollen und Zeugenaussagen, die Jahrzehnte später aufgezeichnet wurden, und aus denen sich keine Spur an Reflexion, an Schuldbewusstsein und Reue zeigt.
Denn diese Off-Stimmen schildern die Untaten im Russlandfeldzug ab 1941. Als SS-Truppen, Wehrmacht, Polizei und örtliche Milizen eingesetzt wurden im Kampf gegen den Weltfeind – gegen die Juden. Die machten in Ostpolen, Ukraine, Westrussland oft 50 Prozent der Bevölkerung aus. Und sie wurden planvoll massakriert, in logistisch ausgezeichnet organisierten Aktionen: Frühmorgens abholen; Grube ausschaufeln lassen; erschießen; verscharren. Und abends ist alles vorbei – ein paar tausend Tote mehr.

Ruzowitzky blickt hinein in diesen Abgrund der Unmenschlichkeit, nicht aus Sicht der Opfer – denn Überlebende gab es keine –, sondern direkt aus dem Denken der Täter. Aus der Frage heraus, wie diese normalen Männer zu Massenmördern werden konnten. Es sind erschreckende Dokumente, die sie hinterlassen haben, die von ihren anfänglichen Skrupeln sprechen und von der Routine, die mehr und mehr die Oberhand gewinnt. „Lieber wäre mir der offene, ehrliche Kampf“, schreibt einer, um direkt überzugehen zu „und nun gute Nacht, liebe Hasi.“

Zu dieser Ebene der direkten Konfrontation mit dem Bösen – mit denen, die Böses tun und es vielleicht auch so meinen – stellt Ruzowitzky Interviews mit Koryphäen, die zu diesem Bereich des historischen und psychologischen Wahnsinns geforscht haben: Ein Militärpsychologe, ein psychoanalytischer Historiker, ein Forscher, der sich speziell mit den Erschießungen in der Ukraine befasst hat. Das ergibt manchmal etwas banale Erklärungen, die sich hier zusammenfassend präsentieren: Gruppendruck und Konformität, propagandistische Durchdringung, die Ausgrenzung und Dehumanisierung der Opfer, die Verantwortung, die auf andere geschoben werden kann, die Normalität, mit der die Morde organisiert und ausgeführt werden…

Einerseits liegt darin das Schockierende: Dass man dies alles verstehen, psychologisch deuten und auf Grundschemata zurückführen kann, die in jedem Menschen angelegt sind. Andererseits aber scheinen diese Erklärungen auch wieder teilweise zu allgemein, sie gehen zu wenig in die Tiefe – vielleicht ergibt sich der Eindruck vor allem in der Gegenüberstellung mit den originalen Aussagen der Mörder, die sich in ihrer Monstrosität kaum auf allgemeingültige Darlegungen reduzieren lassen. Wenn auch diese von Experten kommen, die sich auf diesem Gebiet auskennen wie keine zweiten, wirkt etwa eine Kurzerläuterung der rassischen Grundlagen des Hitlerismus doch etwas redundant; zumindest für den Zuschauer, der sich schon einmal mit dem Dritten Reich beschäftigt hat.

In einigen Feldern rennt Ruzowitzky so offene Türen ein; thematisch kommt er wenig über eine grundsätzliche Zusammenfassung des nationalsozialistischen Vernichtungskrieges hinaus. Eine Wiederholung dessen, was in der gymnasialen Mittelstufe Stoff ist. Tiefe Einsichten – etwa auch in die Kommandostrukturen zwischen den verschiedenen Einheiten von Heer und SS, von Polizei und Miliz – bietet der Film nicht (ohnehin ein viel zu komplexes Feld, das außerhalb historischer Studien kaum bewältigbar ist). Und leider verlaufen auch die Versuche im Sande, die Verbrechen der Einsatztruppen im Osten auf eine allgemein psychologische Ebene zu stellen: Die Teile des Films, die psychologische Versuche wie das Milgram-Experiment (mit Stromstößen werden falsche Antworten bestraft) oder die Stanford-Versuchsanordnung (Grundlage für Hirschbiegels Film Das Experiment), wirken wie aufgesetzt, und die Vergleiche mit heutigen Genoziden in Ruanda oder Dafour hinken wegen der ganz unterschiedlichen grundsätzlichen Vorausbedingungen. Wenn schließlich der amerikanische Militärpsychologe konstatiert, dass man als Lehre aus dem Weltkrieg in der NATO darauf achte, Soldaten nicht mehr nur zu Befehlsempfängern auszubilden, streift Ruzowitzky die Unglaubwürdigkeit des Propagandistischen…

Am stärksten wirkt der Film in seinen direkten Einblicken in die Mechanismen der (fehlenden) Bewältigung, die die Soldaten in ihren Selbstaussagen kommunizieren. Und die Ruzowitzky auch mal mit Ausschnitten aus den Todeslisten bildlich kurzschließt, wo aufgedröselt in „Jude“, „Judenkind“, „Judenfrau“ und ein paar russische Agenten die Summen in die Hunderttausende gehen.

Das radikal Böse

Junge Männer in Uniformen im Wald, beim Fußballspiel, beim Strammstehen, beim Baden – es sind fast idyllische Bilder, die Stefan Ruzowitzky inszeniert, der Krieg als fröhliches Abenteuer – wäre da nicht diese Bildstörung, der Splitscreen, der die Szenen jeweils verschoben in dreifacher Weise zeigt, von drei Kameras leicht nebeneinander verschoben gefilmt.
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