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Eine junge Frau driftet durch die Großstadt und sucht nach einem Schlafplatz und vor allem nach einem Sinn in all dem postmodernen, neoliberalen Wahnsinn. Susanne Heinrichs Mischung aus Spiel- und Essayfilm gehört zum Aufregendsten, was das gegenwärtige deutsche Kino zu bieten hat.

Das melancholische Mädchen (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Ein Betriebsunfall des deutschen Kinos

Es gibt Filme, die entziehen sich von vornherein der gängigen Marktlogik der Filmverwertung allein schon dadurch, dass es quasi unmöglich ist, ihre Handlung auch nur annähernd nachzuerzählen. Und: Es sind die meist die interessanten, die neuen und diejenigen, die sich der grassierenden Seuche des allgegenwärtigen Storytelling entziehen. Denn wenn jedes Start-up und jeder Kaninchenzüchterverein seine Geschichte mit Mitteln der Narration an den Konsumenten, den Anwender, den User bringen will, setzt etwas an, das man als massive Entwertung von Erzählungen ansehen muss: Wenn alles (eine) Geschichte beinhaltet und als solche erzählt wird, wieviel Platz bleibt dann noch für die klassischen Erzählmedien, für das Buch, für den (Spiel)Film?

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Die Filmemacherin Susanne Heinrich, die selbst aus der Schriftstellerei kommt und bisher zwei Romane und zwei Erzählbände veröffentlicht hat, weiß ganz genau, so hat es den Anschein, um die Wirkmächtigkeit wie um die Brüchigkeit von Geschichten. Ihre Protagonistin (Maria Rathscheck) ist ebenfalls Schriftstellerin, doch wie sie mehrmals im Film betont hat sie gerade eine Schreibblockade und hängt seit einiger Zeit am ersten Satz des zweiten Kapitels fest. So unbehaust, wie sie intellektuell ist, gestaltet sich auch ihre Wohnsituation. So wie es in Oh Boy der wesentliche Antrieb des Slacker-Protagonisten war, einfach nur eine Tasse Kaffee zu bekommen, ist „das melancholische Mädchen“ auf der Suche nach einem Schlafplatz. In den folgenden 14 Episoden, die den Film strukturieren und die  so unterschiedliche Themen wie Depression, den Rückzug von Frauen in die Mutterrolle, den Selbstoptimierungswahn und andere Auswüchse unserer neoliberalen Warenwunderwelt verhandeln, bewegt sie sich durch extrem stilisierte Settings und Szenenbilder, die aussehen, als seien sie Kulissen für verschiedenen Werbespots eines mit wechselnden Drogen bis zum Anschlag abgefüllten Art Directors.

Immer leicht abwesend und meist völlig ohne Emotion plaudert sich die depressiv-zynische Autorin durch unterschiedliche Begegnungen mit anderen, vor allem männlichen Profil- und Großstadtneurotikern, meist in Frontalaufnahmen aufgenommen und dadurch stets so wirkend, als spräche sie halb zu sich selbst, halb zum Publikum. Das alles könnte extrem nervig und maniriert wirken, doch stattdessen funktioniert der Film ausgesprochen gut als gewitzte, experimentelle Komödie, die munter zwischen den Kategorien hin und her springt, die mal Popsong oder Gedicht ist, dann wieder Satire oder philosphischer Exkurs. Ein Film, in dem Lanthimos, Brecht und die Dadaisten miteinander fröhliche Urstände feiern.

Mit haarscharf und extrem knapp kalkuliertem Budget (25.000 Euro), unter falscher Flagge (gegenüber der Hochschule war der Film als 30-Minüter ausgegeben worden, weil Heinrich bislang nur einige Übungen absolviert hatte) sowie mit unbekannten Darsteller*innen und ausgetüftelten Sets von extremer Sparsamkeit und Künstlichkeit zwischen Bumsbar, Bett und Hochkulturtempel gelingt es Susanne Heinrich, all das einzulösen, was dem deutschen Gegenwartskino sonst eher fehlt: Das melancholische Mädchen ist extrem smart und auf der Höhe der Zeit, er ist poppig und philosophisch, frisch und ganz und gar gegenwärtig, streng in der Form und zugleich unglaublich verspielt, diskursiv beschlagen und lustig zugleich. Ein Film von der Sorte, dass man es kaum glauben kann, weil doch eigentlich alles in der deutschen Förderlandschaft darauf abzielt, genau diese Art von Kino systemisch und systematisch zu verhindern. Ein Betriebsunfall gewissermaßen — aber was für einer.

Das melancholische Mädchen (2019)

Auf der Suche nach einem Schlafplatz wandert das Melancholische Mädchen durch die Großstadt – aber zwischen Yoga Studios, Kunstausstellungen und den Betten fremder Männer gibt es für sie keinen Platz. Eine postmoderne Komödie in Rosa und Hellblau.

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