Das Mädchen Hirut

Eine Filmkritik von Gregor Ries

Der mühevolle Kampf gegen das Patriarchat

Zu den eindrucksvollsten Filmen über die Situation von Frauen, die in Entwicklungsländern Unterdrückung, männlich dominierter Gewalt und längst überkommenen Traditionen ausgesetzt sind, gehört Das Mädchen Hirut. Durch Angelina Jolies Beteiligung als Co-Produzentin sorgte der äthiopische Oscar-Vorschlag schon allein für Aufmerksamkeit. Dank seiner kompetenten, nachdrücklichen Machart erlangte Zeresenay Berhane Meharis Debüt unter anderem auf dem Sundance Festival und dem „Panorama“-Sektor der Berlinale den Publikumspreis. Der auf Fakten beruhende Difret (so der Originaltitel des Filmes), was sowohl „mutig sein“ als auch „vergewaltigt werden“ bedeutet, greift einen Fall auf, der vor fast zwanzig Jahren das äthiopische Rechtssystem nachhaltig veränderte.
Als die 14-jährige Hirut Assefa (Tizita Hagere) eines Nachmittags von der Schule heimkehren will, wird sie von einer Gruppe bewaffneter Reiter entführt. Einer der Männer, der ihr zuvor schon einen Heiratsantrag machte, verschleppt das Mädchen in eine Hütte und vergewaltigt sie. In einem unbewachten Moment gelingt es Hirut, mit dem Gewehr ihres Peinigers zu fliehen. In die Enge getrieben, erschießt sie ihn auf der Flucht. Dem inhaftierten Mädchen droht nun die Todesstrafe wegen Mordes. Da die Tradition der „Telefa“, der Entführung zwecks Eheschließung, in Äthiopien zwar untersagt, aber dennoch geduldet wurde, stellt man die Notwehrsituation in Frage.

Ihrem Fall nimmt sich Anwältin Meaza Ashenafi (Meron Getnet) an, die mit Kolleginnen kostenlosen Rechtsbeistand für in Not geratene Frauen und Kinder anbietet. Zunächst scheint es, als habe sie gegen das patriarchale System aus Polizei, Staatsanwaltschaft und Regierung keine Chance, zumal die Dorfbewohner ebenso den Tod des Mädchens fordern. Doch durch die Mobilisierung der Medien und nachdrücklichem Einsatz gelingt es der Frauenrechtlerin, Hirut bis zum Prozess in ihre Obhut nehmen zu dürfen.

Mehari stellt die langsame Annäherung der beiden unterschiedlichen Frauen in den Mittelpunkt. Auf der einen Seite steht die unabhängige, allein lebende Anwältin, die, aus ähnlich ärmlichen Verhältnissen stammend, dank einer liberalen Erziehung und einem festen Willen eine selbstbestimmte Laufbahn einschlagen konnte. Geschickt versteht sie es, die Medienmacht und eigene Beziehungen zu nutzen. Ihr gegenüber steht das junge Mädchen, das, in Addis Abeba angekommen, zunächst einen Kulturschock erleidet und Meazas Single-Dasein nicht verstehen kann. Mit den Rückblenden zu Momenten eines harmonischen Familienlebens unterstreicht die Inszenierung Hiruts verstärkt aufkommendes Heimweh.

Obwohl Mehari den Staatsanwalt als Gegenspieler aufbaut, verzeichnet er nicht die männliche Gegenseite wie den Dorfrat, der über Hiruts Todesurteil verhandelt. Vielmehr sieht er das Problem weiblicher Unterdrückung in den archaischen Strukturen, die schwer zu durchdringen sind. Mehrfach zeigt er sich an einer möglichen Hollywood-Dramaturgie desinteressiert: Eine Verfolgungsjagd nach Hiruts Rückkehr ins Dorf bricht unvermittelt ab, die finale Gerichtsverhandlung füllt nur einen Bruchteil der Handlung aus, und das private Interesse eines Reporters an Anwältin Meaza wird nur andeutungsweise gestreift. Einzig der Score wirkt gelegentlich etwas zu süßlich.

Das Mädchen Hirut kann zwar einen didaktischen Duktus nie ganz vermeiden. Doch wenn am Ende angedeutet wird, dass Hiruts jüngerer Schwester ein ähnliches Schicksal drohen könnte, zeigt es sich, dass trotz des Aufbruchs in die Moderne hinderliche Bedingungen nicht einfach zu durchbrechen sind.

Das Mädchen Hirut

Zu den eindrucksvollsten Filmen über die Situation von Frauen, die in Entwicklungsländern Unterdrückung, männlich dominierter Gewalt und längst überkommenen Traditionen ausgesetzt sind, gehört „Das Mädchen Hirut“. Durch Angelina Jolies Beteiligung als Co-Produzentin sorgte der äthiopische Oscar-Vorschlag schon allein für Aufmerksamkeit. Dank seiner kompetenten, nachdrücklichen Machart erlangte Zeresenay Berhane Meharis Debüt unter anderem auf dem Sundance Festival und dem „Panorama“-Sektor der Berlinale den Publikumspreis.
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