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Die Geschichte einer Journalistin, die sich in moralische Abgründe begibt, fühlt mehr wie ein Knäuel denn wie ein wohlgeordneter oder geknüpfter Teppich an.

Das Letzte, was er wollte (2020)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Im freien Fall

“Paladin, Paladin / where do you roam / Paladin, Paladin / far, far from home. / far, far from home / far, far from home…” In der Karlssage ist der Paladin einer der zwölf Ritter am Hof Karls des Großen. Ein Paladin, im übertragenen Sinn, kann jedoch auch jemand sein, der meist einer Person treu ergeben ist, also eine Anhängerin, eine Verehrerin, ein treuer Gefolgsmann; eine Bezeichnung, die auch oftmals spöttisch gebraucht wird. Elena McMahon (Anne Hathaway) wird mit diesen Liedzeilen der Ballad of Paladin von einem Geschäftspartner ihres Vaters in Costa Rica begrüßt. Noch ist er allein mit seinem Spott — “A chess knight of silver / Is his bade of trust” — der sich über ihr Vertrauen lustig macht. Ihr Vertrauen in den Deal, ihren Vater, die Geschäftspartner ihres Vaters. Diesen Kreis der ungerechtfertigten Vertrauten kann man auch noch erweitern, fungieren die Zeilen doch fast prophetisch. Man befindet sich hier schon mitten drin in „Das Letzte, was er wollte“.

„A Knight without armor / In a savage land” – Keine guten Voraussetzungen. Elena McMahon ist Journalistin. Zu Beginn des Films streift sie, es ist 1982, zusammen mit Soldaten und ihrer Fotografin Alma Guerrero (Rosie Perez), durch Wälder in Nicaragua. Noch ist sie bewaffnet und geschützt, trägt ‚Rüstung‘, in diesem vom Contra-Krieg gezeichneten Land: ihre Presseagentur steht hinter ihr: als es brenzlig wird, können Alma und sie fliehen. Später wird sie zurückkehren, unter anderen Voraussetzungen, in einer Maschine, die sich unter dem Radar bewegt, in einer Maschine, die den letzten ‚big deal‘ ihres Vaters, Dick McMahon (Willem Dafoe) im Bauch verbirgt. Ohne Rüstung, ohne Backup. Um für ihren Vater diesen letzten Gefallen durchzuziehen. Das Letzte, was er wollte bringt sie letztendlich an den Rand des Paradieses, Endstation „Surfrider Hotel“, „right at the edge of paradise“ – mehr eine Drohung als ein Versprechen, wie sich herausstellen wird.

Wie diese Kontrastierung deutlich machen soll, hat man es hier auf eine Art und Weise mit einem Film zu tun, der nicht eins sein möchte oder besser kann. Es beginnt anfangs wie ein typischer, journalistischer Thriller, der einer Getriebenen bei der Wahrheitssuche zuschaut, unterfüttert von Archivaufnahmen. Auch wenn Elena recht schnell gezwungen wird, ihren desk, ihr zugeteiltes Ressort, zu verlassen, um die Kampagne des Präsidenten zu begleiten, bleibt sie an der Story dran. Sie trägt gut sitzende Kleidung, ist schick, selbstsicher, charakteristisches Merkmal: Der Schal, über eine Schulter drapiert und am Hals geknüpft, ist ihre Rüstung. Besonders an ihrer modischen Verwandlung lassen sich Kontinuitäten ablesen, Zusammenhänge herstellen und eine Deterioration ihres Charakters festmachen, die sich sonst nur schwer finden lassen. Denn der Film ist doch stilistisch wie narrativ stark inkonsistent.

Der politische Hintergrund des Contra-Kriegs in Nicaragua, der auch auf die umliegenden Staaten übergriff, soll McMahons Suche nach Antworten, die Besessenheit einer eingefrorenen, abgestellten Journalistin, zusammenbinden. Er ist der Grund, warum immer wieder neue Charaktere eingeführt werden. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn deren Motivationen klarer wären, wenn man erführe, wie die Verbindungen sind, wer für wen arbeitet. Doch selbst das Ende, offen gedacht, lässt so viele neue Deutungen zu, dass man fast gewillt ist, sich Das Letzte, was er wollte noch einmal anzusehen, um zu überprüfen, ob man nicht selbst etwas übersehen hat. Und hier stellt sich dann auch die Frage: Für welche Screen-Größe ist der Film gedacht? Tatsächlich macht der Film streckenweise mehr Sinn, wenn man ihn ‚kleiner‘ schaut.

Die Verwebung von Elenas persönlicher Geschichte, ihrem Beruf und dem Auftrag ihres Vaters mutet teilweise mehr wie ein Knäuel an denn wie ein wohlgeordneter oder geknüpfter Teppich. So ist auch der Sound gekennzeichnet von einzelnen Fäden, die hier und da heraushängen, an denen man aber lange ziehen kann, man wird das Knäuel nicht auflösen können. Die zentralen Motive der wichtigen Beziehungen werden spät vorgestellt, es wird inkonsistent mit Voice-Over gearbeitet, das mal eingesetzt, mal weggelassen wird. Archivaufnahmen werden mit Schreibmaschinentext überschrieben – ein Mittel, das nur am Anfang eingesetzt wird –, das mechanische Klicken ist hörbar, so werden auch die Orte, an die Elena später reisen wird, immer wieder „überschrieben“, als ob diese Teil der Geschichte sind. Was sie sind und auch irgendwie wieder nicht. Es wird so viel angefasst und wieder fallen gelassen, sodass man am Ende sogar vergessen hat, dass man am Anfang tatsächlich Archivaufnahmen sah.

Man möchte die doch ach so herausragende Journalistin manchmal anschreien ob ihrer Naivität, gewissen Leuten zu vertrauen, vor allem Treat Morrison (Ben Affleck), anderen hingegen nicht und teilweise so dilettantisch zu agieren, als ob es ihr erstes Mal in dieser gefährlichen Region wäre. “He travels on / To whereever he must” – eine Getriebene, die nicht mehr weiß, was sie eigentlich antreibt, die verloren scheint. Und so spiegelt sich ihre eigene Verlorenheit dann doch auf perverse Art in der Ästhetik wider, werden Figuren bildlich durch die starke Betonung des Vordergrunds isoliert.

Und selbst das magische Wort – „Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen […] Dann fliegt vor Einem geheimen Wort / Das ganze verkehrte Wesen fort“ (Novalis, Heinrich von Ofterdingen) – das hier erst „Max Epperson“ und später „Bob Weir“ lautet, kann das ganze verkehrte Wesen nicht zusammenfügen, nicht per Magie, nicht mit Schnitt, nicht mit der Auflösung am Ende.

So ist der Fall Elenas von der Klippe, der zu lang, zu pathetisch und auch noch schlecht digital bearbeitet wirkt, während dem sie die für sie so wichtigen Fragen „who the war pig, who the profiteer“ wiederholt, auf die sie wie auch der Film schlussendlich Antworten schuldig bleibt, dann doch irgendwie passend für einen Film, der sich selbst im freien Fall befindet. Dee Rees hat uns leider kein Zauberwort mitgegeben, um den Paladin auf der Reise weit, weit weg von zu Hause verstehen zu können.

Das Letzte, was er wollte (2020)

Als ihre Mutter im Jahr 1984 stirbt, gibt die Journalistin Elena McMahon ihren Job bei der Washington Post auf, geht nach Hause, um ihren sterbenden Vater aufzusuchen und übernimmt dessen Job. Als Waffenhändlerin wickelt sie in Zentralamerika für eine geheime Regierungsbehörde Waffengeschäfte ab. Schnell sieht sich McMahon in eine internationale politische Verschwörung verwickelt. Sie muss aus einem Militärkomplex fliehen und begibt sich zu einer abgelegenen Insel vor der Küste von Costa Rica.

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Meinungen

Grantl · 25.02.2020

Ein bisschen vorhersehbar.
Da hilft es leider auch wenig, dass Anne Hathaway eine grundsolide Schauspielerin ist und tatkräftig von Ben Afflek und William Dafoe unterstützt wird. Der Stoff und die Idee ansich, hätte bei guter Umsetzung fulminant werden können. Doch es werden zuviele Klischees angewandt und leider kann keine wirkliche Spannung aufgebaut werden, sodass man sich nach 40 Minuten überlegt, ob es nicht besser ist den Fernseher wieder abzudrehen und doch lieber einen Schal zu stricken. Das Strickmuster ist sicherlich spannender und nervenaufreibender.

Die "überraschende" Wendung am Schluß, mit den erklärenden Rückblenden, war keine wirkliche Überraschung. Und in Anbetracht dessen, dass Hathaways Figur eine Spitzenreporterin darstellen sollte, macht ihre stümperhaftes Agieren fast schon zur Politikpersiflage.