Das kalte Eisen

Eine Filmkritik von Festivalkritik DOK Leipzig 2013 von Joachim Kurz

Zwischen Traumabewältigung, Trauerarbeit und Existenzangst

Das Trauma, das Das kalte Eisen verhandelt, ist der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen am 11. März 2009, in dessen Verlauf der Schüler Tim K. 15 Menschen und sich selbst erschoss und elf weitere zum Teil schwer verletzte. Wie können Betroffene mit solch einer Tat umgehen, wie verändert ein schreckliches Erlebnis wie dieses das Denken und Fühlen der Menschen? Das sind die Fragen, denen Das kalte Eisen nachgeht — und er tut dies von verschiedenen Seiten. Natürlich fällt einem bei dem Topos Waffengewalt sofort Michael Moores filmisches Pamphlet Bowling for Columbine ein, doch man kann sich trotz der ähnlichen Thematik wohl keinen größeren Kontrast denken als Das kalte Eisen.
Der Film beginnt in einer Kampfmittelbeseitigungsanlage in Baden-Württemberg, in der beschlagnahmte und freiwillig abgegebene Schusswaffen eingeschmolzen und zu Baustahl verarbeitet werden. Minutiös erklären die Arbeiter dort, wie die Vernichtung der potentiell tödlichen Waffen vonstatten geht, dann kommt ein Wagen mit Besuchern vorgefahren; es sind Mitglieder des nach dem Amoklauf gegründeten Aktionsbündnisses Winnenden, das sich für eine stärkere Kontrolle der in Privatbesitz befindlichen Schusswaffen und das Verbot von Großkalibern einsetzt. Doch die Forderungen der Initiative gehen noch weiter und umfassen unter anderem eine bessere Gewaltprävention an Schulen und das Verbot von Killerspielen. Es ist vor allem Hardy Schober, der das Bündnis mit initiierte, dem die Kamera nun folgt, für den Vater einer ermordeten Schülerin ist der Kampf für seine Ziele zu einer Aufgabe geworden, die er von seiner Tochter mit auf den Weg bekommen hat.

Thomas Lauterbach belässt es aber nicht bei dieser einen Perspektive, sondern öffnet noch andere Blickpunkte auf das Geschehen und die Folgen. So folgt er beispielsweise auch zwei Mitarbeitern des Ordnungsamtes, die mit schwäbischem Witz und bürokratischem Ernst Kontrollen bei Waffenbesitzern durchführen und dabei oft in bizarre Situationen geraten.

Neben diesen Begegnungen ist es vor allem eine weitere Person, deren Präsenz im Film beeindruckt: Es ist ein schwäbischer Büchsenmacher und Besitzer eines Waffengeschäftes, der sein Handwerk liebt und der darunter leidet, dass sein Beruf nun so in Misskredit geraten ist. Für ihn ist es auch eine Frage der Existenz, ob großkalibrige Schusswaffen, wie vom Aktionsbündnis gefordert, verboten werden. Kommt solch ein Verbot, kann er seinen Laden zumachen, seinen Beruf aufgeben. Und dagegen kämpft er ebenso verbissen an wie die Eltern von Winnenden für ein solches Verbot.

Dennoch begeht Das kalte Eisen nicht den Fehler, diesen grundlegenden Konflikt zwischen den Befürwortern und den Gegnern einer stärkeren Waffenkontrolle zuzuspitzen oder in den Mittelpunkt der Erzählung zu rücken und Partei für die eine oder andere Seite zu ergreifen. Vielmehr bleibt Thomas Lauterbach ganz nah an den Menschen, lässt ihnen Raum und versucht ihre Argumente für und wider verständlich zu machen.

Zugleich geht es aber nicht nur um Thesen, sondern vor allem um die Emotionen, vor denen schließlich das Filmteam selbst nicht gefeit ist. In einer der bewegendsten Szenen dieses ungeheuer intensiven Filmes bricht aus dem Büchsenmacher die ganze Frustration und der enorme Druck, unter dem er seit dem Amoklauf steht, heraus, all das, was sich bei ihm über einen langen Zeitraum angestaut hat, entlädt sich in einem wütenden Ausbruch gegen den Regisseur und den Kameramann. Dass diese Szene im Film geblieben ist, gehört zu einer ganzen Reihe von klugen Entscheidungen, die aus Das kalte Eisen einen ganz besonderen Film machen, der dem Zuschauer keinen Ausweg aus dem Dilemma anbietet, in dem diese wichtige öffentliche Diskussion feststeckt. Er regt allenfalls zum Nachdenken an, hält den Diskurs aufrecht, vermittelt zwischen den Parteien, ohne zu beschwichtigen. Und genau das macht ihn zu einem wichtigen Werk, dem zu wünschen ist, dass es eine möglichst große Aufmerksamkeit erfährt.

(Festivalkritik DOK Leipzig 2013 von Joachim Kurz)

Das kalte Eisen

Das Trauma, das „Das kalte Eisen“ verhandelt, ist der Amoklauf von Winnenden und Wendlingen am 11. März 2009, in dessen Verlauf der Schüler Tim K. 15 Menschen und sich selbst erschoss und elf weitere zum Teil schwer verletzte. Wie können Betroffene mit solch einer Tat umgehen, wie verändert ein schreckliches Erlebnis wie dieses das Denken und Fühlen der Menschen?
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