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Die Murnau-Stiftung hat Joe Mays „Das indische Grabmal“ von 1921 einer technischen Verjüngungskur unterzogen. Doch wie wirkt der Tiger-geballte Monumentalfilm heute auf uns?

Das indische Grabmal (1921)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Der Welt größter Film

Es sind immer wieder die Tiger. Eine Gruppe Tiger in einem steinernen Rund, wie man es von Gladiatorenkämpfen vielleicht kennt, hungrig umherschweifend. Die Nahaufnahme eines Tigers, direkt in die Kamera blickend, die riesigen Tatzen wie schützend auf die angenagten Knochen und Fleischstücke vor sich gelegt. Kaum etwas evoziert stärker das Konstrukt des Fremden, des Exotischen, auch die Gefahr, die in „fernen“ Ländern steckt. Und dagegen können selbst die menschlichen Stars nicht anspielen. „Nur ein einziges Mal,“ schreibt ein zeitgenössischer Filmkritiker, „schien Conrad Veidt unbelebt – als die Aufnahme eines fletschenden Tigers vorausgegangen war. Dieses Bild ist unvergeßlich und zeigt, daß der Mensch die wilde und rassige Unmittelbarkeit des tierischen Körperausdrucks niemals erreichen kann.“

Herbert Ihering hatte da gerade Die Sendung des Yoghi gesehen, den ersten Teil von Das indische Grabmal, „der Welt größter Film“, wie die Pressearbeit der May-Film GmbH stolz verkünden ließ, die überhaupt zur Premiere im Oktober 1921 auf Hochtouren lief, „unter einem gigantischen Taradabumdera der Propaganda“, wie es Doris Wittner damals in der Zeitschrift Roland nannte. Nicht nur bekam Thea von Harbous gleichnamiger Roman, auf den sich der Film stützte, eine Neuauflage, die Zeitungen waren voll mit Anzeigen, es kursierten wilde Zahlen darüber, wie viele Statist_innen, wie viele Tiger, Elefanten und Alligatoren im Einsatz waren – ausgeliehen aus dem Tierpark Hagenbeck, dem Berliner Zoo und dem Zirkus Sarrasani.

Regisseur Joe May, 1880 als Julius Otto Mandl in Wien geboren, war lange Zeit weitgehend vergessen und wird erst in den letzten Jahren wieder entdeckt – dabei hat er mit Das indische Grabmal den vielleicht ersten großen Ausstattung- und Monumentalfilm des Weimarer Kinos gedreht, für damals unfassbare 22 Millionen Mark (je nach Quelle waren es auch 20 oder 24 Millionen). Das Projekt finanzierte May zum Teil mit der Unterstützung amerikanischer Geldgeber_innen – die sich dann aber noch vor dem Filmstart aus dem Projekt zurückzogen.

Dabei zielte das pompöse Abenteuer bewusst auf den internationalen, insbesondere den amerikanischen Markt – gerade die Größe des Projektes sollte es wettbewerbsfähiger machen als die kurzen, schnell abgedrehten Serienstoffe, mit denen vor allem May sich vorher beschäftigt hatte, und die vor allem ein heimisches Publikum ansprachen. Mays Veritas vincit (Die Wahrheit siegt!) von 1919 war schon ein erster Schritt in diese Richtung.

Die Handlung von Das indische Grabmal entführt die Zuschauer_innen in eine von Magie und Mystik erfüllte „indische“ Welt: Ayan (Conrad Veidt), Maharadscha von Eschnapur, lässt den Yoghi Ramigani (Bernhard Goetzke) aus einem langjährigen Schlaf wecken. Dadurch ist dieser verpflichtet, dem Fürsten seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Ayan entsendet ihn nach Europa, wo er den englischen Architekten Herbert Rowland (Olaf Fönss) überzeugt, ihm sogleich nach Indien zu folgen – er soll ein Grabmal für Ayans Frau errichten, prächtiger als das Taj Mahal.

Vor Ort erfährt Rowland dann allerdings, dass Ayans Frau Savitri (Erna Morena) noch am Leben ist und im Palast gefangen gehalten wird; wegen einer Affäre mit dem britischen Offizier Mac Allan (Paul Richter) will der Fürst die beiden jedoch mit dem Tode bestrafen. Rowland hadert mit sich, ob er das Grabmal bauen soll, das der Fürst nun als „Grabmal einer großen Liebe“ bezeichnet; derweil hat Rowlands Verlobte Irene (Mia May, Joe Mays Ehefrau) trotz aller Verschleierungsversuche des Yoghi herausgefunden, wohin jener so plötzlich abgereist ist, und folgt ihm zum Palast, wird von Ayan aber daran gehindert, ihn auch zu treffen: Erst müsse er das Grabmal zu Ende bauen.

Bevor dann der zweite Teil, Der Tiger von Eschnapur (der einen Monat später, am 19. November 1921, in die Kinos kam), beginnt, versucht Ayan auch noch Mac Allan bei einer Tigerjagd in eine Falle laufen zu lassen, und Rowland infiziert sich mit Lepra, als er Irene durch den Palast folgt und dabei von einem Yoghi, dessen Ruhe er stört, mit einem Fluch belegt wird. Der zweite Film – auch noch 100 Minuten lang – ist dann gewissermaßen ein einziger Showdown: Rowland wird von Ramigani geheilt, Mac Allan den Tigern vorgeworfen, Savitris Vertraute Mirrjha (Lya de Putti) fällt einer Schlange zum Opfer, und am Schluss fliehen Irene, Savitri und Rowland gemeinsam aus dem Palast, verfolgt von Ayan und seinen Männern – eine Flucht, die schließlich tragisch endet.

Mit insgesamt über 220 Minuten Laufzeit ist Das indische Grabmal alles andere als knackig – es dauert schon eine halbe Stunde, bis die Handlung nennenswert in Gang kommt, und das fiel auch den zeitgenössischen Kritiker_innen schon auf: Oft genug kam der Vorwurf auf, May verbringe zu viel Zeit damit, seine Dekors und Ausstattungen in Szene zu setzen. Und in der Tat sind es diese Schauwerte, die den Film so beeindruckend machen: In Woltersdorf bei Berlin wurden ganze Tempel- und Palastanlagen aufgebaut, ein benachbarter Steinbruch lieferte den Kalkstein und diente wohl zugleich ebenfalls als Kulisse.

Der Film sollte natürlich außerdem ein am „Fremden“, am „Exotischen“ interessiertes Publikum ansprechen, und so gibt es dann auch Prozessionen mit Elefanten durch indische Palastanlagen ebenso wie Bilder aus dem angeblichen indischen „Alltagsleben“, inkl. Barbier auf offener Straße und sich anschließenden Slapstick-Szenen. Und immer wieder die Raubkatzen: Es gibt eine Tigerjagd mit Elefanten (im bereits erwähnten Steinbruch) und dramatische Szenen im Tigergehege.

Den Architekten sieht man nie planen, zeichnen oder gar bauen (er brütet vor allem über seine Entscheidungen), aber die als „Büßer“ bezeichneten Yoghis liegen in einem Keller des Palasts auf Nägeln, hängen von der Decke oder sind bis zum Hals eingegraben. Und schon die „Übersetzung“ als „Büßer“ lässt natürlich deutlich erkennen, dass es im Vokabular des Westens keine adäquate Beschreibung dafür gab, was die Praxis des Yoga eigentlich umfasste – es gab nur den Blick aus der Fremde darauf, der das Verhalten als mystisch und in seiner Fremdheit bedrohlich einschätzen konnte. (Es dauerte ja noch einige Jahrzehnte, bis das mystische Indien dann, mit einem anderen, aber weiterhin exotistischen Blick, plötzlich gewissermaßen zur Trendsportart einer modischen Gegenkultur wurde.)

Der Exotismus, der koloniale Blick auf ein natürlich so nur imaginiertes Indien – fremd, potentiell feindlich, irrational –, ist Vorbedingung und Grundton dieses Films; man kann Das indische Grabmal nicht rezipieren, ohne das zu beschreiben und mitzudenken. Die Darstellung der nicht-europäischen Menschen ist, von den Hauptfiguren abgesehen, stereotyp, vereinfachend und nicht zuletzt dadurch in vielem rassistisch. Das ist, der Zeit gemäß, oft überhaupt nicht reflektiert; und dann gibt es aber eben doch diesen einen Moment, in dem sich die Selbstwahrnehmung der weißen Europäer_innen als privilegiert, ihre Herablassung gegenüber selbst dem Herrscher dieses Landes, eben doch entlarvt: Da verspricht Irene der Dienerin Mirrjha, ihr könne nichts zustoßen, schließlich stehe sie ja unter ihrem, der Weißen, Schutz. Und nur Minuten später führen die Diener des Fürsten Mirrjha ihrem Verderben zu.

Dabei ist durchaus interessant, wie sehr die Frauen in dieser Handlung aktive Rollen übernehmen – während die Männer leiden und Rachepläne schmieden, gehen die weiblichen Figuren bald von reiner Reaktion zu aktiven Rollen über. Dass das überhaupt trägt, liegt nicht zuletzt am subtilen Spiel der Hauptdarsteller_innen Veidt, Fönss, May und Goetzke, die tapfer und größtenteils erfolgreich den Ausstattungswahnsinn um sie herum vergessen lassen können.

1994 gab es eine erste Farbrestaurierung von Das indische Grabmal aus unterschiedlichen Quellen – vorher war der Film lange Zeit nur in Schwarz-Weiß verfügbar, so dass die strukturierende, gar inhaltliche Bedeutung der Viragierungen nicht mehr sichtbar wurde. Unter Koordination der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung ist nun 2016 dank neuer Quellen und neuer technischer Verfahren eine weitere Fassung als 2K-Abtastung entstanden, in der die Farbtöne etwas feiner gesetzt sind, die Kontraste nicht mehr so stark. Ein großer Verlust ist allerdings der Umstand, dass die Originalmusik von Wilhelm Löwitt verloren gegangen ist; die aktuelle DVD und Blu-ray von eye see movies enthält dafür neue, speziell für den Film komponierte Musik von Irena Havlová und Vojtěch Havel (The Havels), die allerdings womöglich etwas gewöhnungsbedürftig ist.

Seinen Platz in der Filmgeschichte verdient Das indische Grabmal neben vielem anderen aber auch durch eine im Film selbst unsichtbare Begegnung: Er markiert die erste Zusammenarbeit von Fritz Lang, der bis dahin als Joe Mays Assistent arbeitete, und Thea von Harbou. Lang machte sich Hoffnungen, bei diesem Film Regie führen zu können, und bekam stattdessen die Aufgabe, gemeinsam mit von Harbou das Drehbuch zu schreiben und zu überarbeiten. Dem Vernehmen nach war Lang von der Zurückweisung enttäuscht und ging fortan seine eigenen Wege; die Zusammenarbeit mit von Harbou allerdings hielt dann noch viele Jahre (und länger als die 1922 geschlossene Ehe). Ohne das Grabmal also kein Metropolis, ohne Irene keine Maria.

Das indische Grabmal (1921)

Ayan (Conrad Veidt), Maharadscha von Eschnapur, lässt den Yoghi Ramigani (Bernhard Goetzke) aus einem langjährigen Schlaf wecken. Dadurch ist dieser verpflichtet, dem Fürsten seinen sehnlichsten Wunsch zu erfüllen. Ayan entsendet ihn nach Europa, wo er den englischen Architekten Herbert Rowland (Olaf Fönss) überzeugt, ihm sogleich nach Indien zu folgen – er soll ein Grabmal für Ayans Frau errichten, prächtiger als das Taj Mahal.

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