Das Hausmädchen

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Die Bourgeoisie und ihre Verfehlungen

Nach beinahe dokumentarischem und ziemlich verwirrendem Beginn, der in fragmentarisierten Bildern das Leben in einem Großmarkt und den Selbstmord einer jungen Frau schildert, schält sich schält sich aus diesen irrlichternden Momentaufnahmen eine bemerkenswert schlichte und straighte Geschichte heraus, die aufgrund ihrer ausgeklügelten Ästhetik über die ganze Zeit des Films zu fesseln vermag: Eun-yi (Jeon Do-yeon), eine junge Frau mit anivem Herzen, wird von der bedeutend älteren Hausdame Byung-sik (Youn Yuh-Jung) des Unternehmers Hoon (Jung-Jae Lee) als Haus- und Kindermädchen für dessen Tochter Nami (Ahn Seo-hyun) und die zwei sich noch im Bauch der Mutter befindlichen Zwillinge angeheuert wird. Da die werdende Mutter aufgrund ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft den (sexuellen) Wünschen ihres steinreichen Gatten nicht mehr nachgeben mag, verführt dieser das arglose Dienstmädchen und schwängert sie prompt. Da im Haushalt des Unternehmers nichts den wachsamen Augen Byung-siks verborgen bleibt, ahnt diese das Missgeschick des Dienstmädchens schneller als Eun-yi selbst und hinterträgt die delikate Angelegenheit ihrer Herrin Hae-ra (und deren intriganter Mutter Mi-hee (Park Ji-young). Die beiden Frauen, die keinesfalls gewillt sind, sich von einer einfachen Angestellten derart kompromittieren und damit möglicherweise auf einen Anteil des zu erwartenden Vermögens verzichten zu müssen, wollen sie die Angelegenheit auf möglichst diskrete Art und Weise aus dem Weg räumen. Zunächst stößt die böse Schweigermutter zufällig gegen die Leiter, auf der Eun-Yi gerade den Kronleuchter wienert und sorgt so für einen Sturz aus der zweiten Etage. Und als dies außer kleinen Blessuren nicht für den gewünschten Effekt sorgt, werden kurzerhand giftige Substanzen in die Heilkräuter gemischt, die schließlich die Fehlgeburt des Embryos auslösen. Als Eun-yi durch Byung-sik erfährt, was man ihr angetan hat, sinnt die junge und gutmütige Frau auf Rache und entschließt sich zu einer Tat, die ein sichtbares Zeichen setzen soll…
Obwohl der Film auf einem koreanischen Werk aus dem Jahre 1960 (Kim Ki-youngs Hanyo / The Housemaid) beruht, fühlt man sich ein klein wenig an Alfred Hitchcocks hintersinnigen und rabenschwarzen Humor und an Claude Chabrols elegante Vivisektionen der Bourgeoisie erinnert, wenn etwa die ältliche Gouvernante angesichts des ehebrecherischen Liebesspiels des Hausherren mit der Angestellten entnervt die Augen verdreht. Zu diesem unverkennbar französischen „odeur“ passen auch die vielen kleinen Reminiszenzen an die französische Lebensart wie die Bildbände von Henri Matisse, die die Hausherrin gerne betrachtet oder deren Bettlektüre (Simone de Beauvoirs Das andere Geschlecht).

Was den Film dann doch von Chabrols Gesellschaftsthrillern unterscheidet, ist die Entschiedenheit und Plakativität, mit der Sangsoo-Im die abgrundtiefe böse und verdorbene Welt der Reichen gegen die Gutherzigkeit der einfachen Leute setzt. Bis auf das Finale furioso sind die Rolle stets streng verteilt und erlauben keinerlei Varianzen beim Verhalten – mit einer Ausnahme: Byung-sik, die als einzige Person des Films bis zum Schluss ein Geheimnis für sich bewahrt: Nämlich jenes, was sie im Laufe ihres Arbeitslebens alles erleben musste und welches all die Erniedrigungen und Fehltritte der Herrschaften waren, die es ihr ermöglichten, ihrem Sohn eine teure Ausbildung zu bezahlen. Und damit verknüpft die Frage, was sie dazu bewogen hat, sich nach Jahrzehnten unbedingter Loyalität doch gegen ihre Arbeitgeber zu stellen.

Das Hausmädchen

Nach beinahe dokumentarischem und ziemlich verwirrendem Beginn, der in fragmentarisierten Bildern das Leben in einem Großmarkt und den Selbstmord einer jungen Frau schildert, schält sich schält sich aus diesen irrlichternden Momentaufnahmen eine bemerkenswert schlichte und straighte Geschichte heraus, die aufgrund ihrer ausgeklügelten Ästhetik über die ganze Zeit des Films zu fesseln vermag.
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Meinungen

Martin Zopick · 21.06.2022

Das ist kein Remake des ersten Films mit dem gleichen Titel von 1960. Das ist ein ganz anderer Film, der mit dem früheren allenfalls gewisse inhaltliche Gemeinsamkeiten hat. Der Film von Im Sang-soo ist stilistisch konsequent, atmosphärisch dicht und viel klarer strukturiert. Deswegen auch wesentlich aussagekräftiger. Es ist einfach zeitgemäßer. Die Personen sind realistisch und sogar sexy. Man sieht was da so unter der Bettdecke geschieht. Es ist eine asiatische Zweiklassengesellschaft im 21. Jahrhundert: die einen sind traditionsbewusst, stocksteif und stinkreich. Das sind wohl auch die Älteren. Dann gibt es noch das moderne Korea: jung, locker, arm. Dazu gehört das Personal, die Dienstboten also.
Obwohl sie auf einander angewiesen sind und quasi zusammen leben, trennen sie Welten. Die Haushälterin sagt über ihre Herrschaft ‘Diese Menschen sind grausam. Deswegen sind sie wohl auch so reich.‘ Und der Herr des Hauses meint ‘Jede Frau hat wohl das Recht, ein Kind von mir zu empfangen.‘
Das erklärt einiges. Moralisch steckt dieses Korea noch im Mittelalter, als der Gutsherr noch das ‘ius primae noctae‘ hatte. Da passt dann auch die ältere Hausdame ins Bild, die quasi als ‘Beschließerin‘ die Schlüsselgewalt inne hat und den Haushalt managt. Und zu dieser archaischen Gesellschaftsform passt auch der spektakuläre Schluss mit Feuer und Strick quasi Scheiterhaufen und Galgen.
Ein guter Film mit toller Optik, Idealen von Vorgestern trotz zukunftsträchtiger Perspektive. Manche Dinge ändern sich halt nie.