Das große Geheimnis

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Kinderfreundschaft und Verrat in den Zeiten des Krieges

Da pirschen zwei zwölfjährige Jungen unbeschwert durch ihre ländliche Umgebung, belauern sich spielerisch mit ihren Holzpistolen, teilen das Geheimnis einer versteckten Höhle und ihre freundschaftlich-verschwörerischen Rituale – das Idyll einer Kindheit, scheinbar losgelöst von Raum und Zeit. Doch bald bereits werden die bedrückenden Schatten dieses vermeintlichen Paradieses sichtbar, denn es herrscht Krieg in der Welt, der auch in der niederländischen Provinz Limburg des Jahres 1943 angekommen ist, wo die Freunde Tuur (Maas Bronkhuyzen) und Lambert (Joes Brauers) mit ihren Familien leben.
Der in Sambia geborene Regisseur Dennis Bots (Starke Mädchen weinen nicht / Achtste Groepers Huilen Niet, 2012, Code M, 2015) hat mit Das große Geheimnis einen Jugendroman des niederländischen Autors Jacques Vriens verfilmt und damit eine gleichsam sensible wie spannende Geschichte visualisiert, die sich während des Zweiten Weltkriegs im von den deutschen Nationalsozialisten besetzten Holland ereignet. Hier brodeln in einem Dorf nahe Maastricht die unterschwelligen bis offen ausgetragenen Spannungen zwischen verborgenem Widerstand und plakativer Kollaboration mit den Deutschen innerhalb der Bevölkerung, und es sind die Familien von Tuur und Lambert, die als Repräsentanten dieser Positionen im Zentrum der Geschehnisse stehen.

Wenn Lambert auf Grund der sichtbaren Fehlstellung eines seiner Füße von älteren Jungen schikaniert wird, steht Tuur ihm tapfer zur Seite, und auch sonst besteht eine loyale, zugeneigte Verbindung zwischen den beiden Freunden, deren Familien sich ebenfalls gelegentlich gesellig zusammengefunden haben, bis unterschiedliche politische Positionen für Distanz sorgten. Während Herr Nijskens (Stefan de Walle) sich für den nationalsozialistischen Habitus begeistert, zum Bürgermeister des Dorfes aufsteigt und die Seinen bis auf den skeptisch zögernden Sohn Lambert in entsprechende faschistische Organisationen integriert, engagiert sich Familie Ramakers verdeckt im Widerstand – allerdings ohne ihren Jüngsten Tuur einzuweihen. So spürt dieser zwar instinktiv die vor ihm verborgenen Heimlichkeiten, ohne sie jedoch zuordnen zu können, und fühlt sich innerhalb der Familie wachsend ausgeschlossen und unverstanden, zumal seine Eltern (Eva Duijvestein, Loek Peters) ihm zunehmend zu verstehen geben, dass sie seinen Umgang mit Lambert nunmehr missbilligen, ist dieser doch der Sprössling von Nazi-Kollaborateuren.

Keine leichte Zeit für die Freunde, deren Bund einmal mehr belastet wird, als die burschikose gleichaltrige Maartje (Pippa Allen) im Dorf und in der Schule auftaucht, die sich zunächst mit Lambert anfreundet, dann aber stärker zu Tuur tendiert, während Lambert allmählich abgehängt wird. Doch Maartje ist unter erfundener Identität in der Gegend, um als Jüdin der Verfolgung durch die Nazis zu entkommen, und dieses ganz gewaltige Geheimnis wird zur großen Gefahr für alle Beteiligten, deren Haltungen und Handlungen immer mehr vom absurden Zeitgeist des Krieges und des Faschismus annektiert werden …

Das große Geheimnis vermag es in vielerlei Hinsicht, als außergewöhnlicher, authentischer und berührender Kinder- und Jugendfilm sowie als intensives, höchst ansprechendes Drama vor heiklem historischem Hintergrund zu überzeugen. Dramaturgisch so anspruchsvoll wie sorgfältig und geschickt konstruiert angelegt, fesselt die Geschichte zuvorderst durch ihre schillernd skizzierten jungen Protagonisten jenseits stereotyper Charakteristika sowie durch die wuchtige, bewegende Art und kluge Gestaltung ihrer persönlichen und sozialen Konflikte, die einerseits das Heranwachsen im Allgemeinen und weiterhin die besonderen gesellschaftspolitischen Bedingungen berücksichtigen und auf eindrückliche Weise zu einem ungeheuer tragischen, brisanten Schauspiel verknüpfen. Die beiden Buben beben vor berechtigter Empörung, emanzipieren sich schmerzlich von ihren vertrauten Sicherheiten und finden final eine Form des Friedens in den eigenen energischen Entscheidungen, was sie vor einer nahe liegenden Kapitulation vor eigenen Fehlern und faschistischer Fremdbestimmung bewahrt.

Freundschaft und Verrat, Recht und Unrecht sowie Rache und Rehabilitation sind die großen und großartig verständlich und nachvollziehbar gestalteten Ereignisfelder dieses markanten Anti-Kriegsfilms mit seiner temporär geradezu abenteuerlichen Atmosphäre, die jedoch nicht einmal in Versuchung gerät, in oberflächlichen Aktionismus abzugleiten. Aus der hölzernen Pistole vom Anfang wird am Ende eine scharfe Waffe, und nicht nur dieser Symbolismus erweist sich in Das große Geheimnis als wohl durchdachter und dosierter Zug einer hervorragenden Dramaturgie, deren Form höchst respektabel mit den Feinheiten der Figuren und der Geschichte korrespondiert, die sich zudem nicht scheut, dem Grauen des Krieges Bilder von tröstlicher, lichter Schönheit entgegenzusetzen.

Die Auszeichnung mit dem Prädikat ‚besonders wertvoll‘ der FBW Wiesbaden und ein paar weitere Nominierungen und Filmpreise zeugen bereits ein wenig von der Wirkungsmacht dieser trefflichen Literaturverfilmung, die leider in viel zu wenigen Ländern in den Kinos zu sehen war, aber immerhin nun hierzulande auf DVD und Blu-ray erscheint, flankiert von einem reizenden Making Of, das auch die jungen, ganz wunderbar agierenden Darsteller über ihre Rollen, Empfindungen und Gedanken bezüglich der schwierigen Thematik zu Wort kommen lässt.

Das große Geheimnis

Da pirschen zwei zwölfjährige Jungen unbeschwert durch ihre ländliche Umgebung, belauern sich spielerisch mit ihren Holzpistolen, teilen das Geheimnis einer versteckten Höhle und ihre freundschaftlich-verschwörerischen Rituale – das Idyll einer Kindheit, scheinbar losgelöst von Raum und Zeit.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen