Das Fräulein

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die große Einsamkeit der Migration

Drei Frauen, drei Generationen, drei Sprachen und drei Migrationsschicksale, die sich in Zürich kreuzen – davon handelt der melancholische Film Das Fräulein der schweizerischen Regisseurin Andrea Štaka. Fremde, Entwurzelung und das Bemühen, eine sich zersetzende Identiät unter widrigen Bedingungen aufrecht zu erhalten, sind schwer wiegende Motive, die das Leben unzähliger Menschen im letzten Jahrhundert wie nie zuvor beeinträchtigt haben.
Das Spielfilmdebüt der Schweizerin, deren Familie aus dem ehemaligen Jugoslawien stammt, führt uns mit schonungslos intimem Blick auf die emotionale Isolation ihrer Protagonistinnen vor Augen, wie lähmend sich die innerliche und äußerliche Heimatlosigkeit, der Verlust eines zugehörigen Ortes sowie die Verlorenheit im tendenziell abweisenden urbanen Raum auf das persönliche Leben auswirken kann. Aber auch, wie tröstlich und belebend es sein kann, Verbündeten zu begegnen und sich für eine kleine Weile der Nähe und des Verständnisses zu erholen.

Als junge Frau bereits kam Ruža (Mirjana Karanović, Esmas Geheimnis — Grbavica) auf Grund von wirtschaftlichen Nöten aus Belgrad nach Zürich, und 25 Jahre später besitzt sie eine florierende Werkskantine, fristet jedoch privat das triste Leben einer allein stehenden Migrantin in den mittleren Jahren mit wenig Kontakten in ihrer Wahlheimat und überhaupt keinen nach Serbien, wohin sie niemals zurückkehrte. Seit langer Zeit bei ihr beschäftigt ist die Kroatin Mila (Ljubica Jović), eine duldsame Frau in den Sechzigern, die mit ihrer Familie vor über dreißig Jahren nach Zürich emigrierte. Einerseits hatte sie gemeinsam mit ihrem Mann stets geplant, einmal in die alte Heimat zurückzukehren und dort bereits mit dem Bau eines kleinen Domizils an der Adria begonnen, doch andererseits wollen ihre Kinder in der Schweiz leben, wo sie aufgewachsen sind, so dass Milas Empfindungen zwischen familiärer und territorialer Verbundenheit aufgerieben werden.

Eines Tages betritt die junge Ana (Marija Škaričić, Einstein´s Greatest Mistake) aus Sarajevo das in harter Arbeit und Routine erstarrte Universum der Werkskantine und rüttelt mit ihrer offensiven Lebenslustigkeit die festgefahrenen Strukturen auf, was der streng organisierten Ruža zunächst gar nicht gefällt. Doch unter der impulsiven Oberfläche Anas verbirgt sich das Trauma des Krieges, den sie in Bosnien miterleiden musste, und eine weitere persönliche Katastrophe, die sie strikt geheim hält, so dass ihr unbändiges Züricher Nachtleben auf der Suche nach einem Ort zum Schlafen den Charakter einer permanenten Flucht erhält, die nur kurz in den Armen beinahe beliebiger Männer unterbrochen wird. Zwischen den drei so unterschiedlichen Frauen, vor allem zwischen Ana und Ruža, entwickelt sich zaghaft eine Beziehung, innerhalb welcher die verrotteten Wände der Isolation zurückweichen und eine jede sich im Verständnis für die Andere auch selbst neu betrachten kann, was nicht ohne erfreuliche Folgen für ihr Leben bleibt, doch letztlich auf schwierige Entscheidungen von gravierender Bedeutung hinausläuft.

Mit dem Goldenen Leoparden in Locarno 2006, dem FIPRESCI Award in Valladolid und auf dem Internationalen Filmfestival von Sarajevo in der Kategorie Bester Film und Beste Schauspielerin (Marija Škaričić) ausgezeichnet ist Das Fräulein ein Film, der durch handwerkliches Können und authentische Intensität ebenso überzeugt wie durch sein sozialpolitisch aktuelles Thema und das sensible Agieren seiner Darstellerinnen. Regisseurin Andrea Štaka lässt ihre Frauen die Sprachen ihrer Herkunft benutzen, die sie untereinander verstehen können, so dass die Originalversion auf Schweizerdeutsch, Deutsch, Bosnisch, Kroatisch und Serbisch mit deutschen Untertiteln gezeigt wird, wobei Ruža es bezeichnenderweise zu vermeiden sucht, ihre Muttersprache Serbisch zu gebrauchen, um jedwede Erinnerung an ihre einstige Heimat zu verdrängen. Stilistisch ist der Film stark auf eine derartige Symbolik ausgerichtet, wobei vor allem die besondere Art der Kameraführung zu erwähnen ist, die es vermag, beispielsweise durch Verharren auf Details Distanzen zu visualisieren oder durch wechselnde Einstellungsgrößen Unruhe zu transportieren. Mag dies auch teilsweise ein wenig zu konstruiert erscheinen, wirkt andererseits die schauspielerische Dynamik diesem Effekt entgegen.

Das Titel gebende Fräulein wählte Andrea Štaka auf Grund der Ambivalenz dieses Begriffs aus, der in helvetischer Manier immer wieder in der Geschichte als „Fräulein, zahlen bitte!“ an Ruža gerichtet auftaucht oder auch als Anrede für die junge Ana und somit einen unpersönlichen Charakter annimmt, hinter welchem die Frauen als individuelle Personen nahezu verschwinden, was mit ihrer gesellschaftlichen Position als der von Fremden korrespondiert.

Das Fräulein ist eine nachdenklich stimmende Geschichte über die große Einsamkeit im Zeitalter der Migration und bei aller Tragik ihres Themas ein feinfühliges Porträt dreier Frauen, das mitunter einen geradezu zärtlichen Humor aufweist.

Das Fräulein

Drei Frauen, drei Generationen, drei Sprachen und drei Migrationsschicksale, die sich in Zürich kreuzen – davon handelt der melancholische Film Das Fräulein der schweizerischen Regisseurin Andrea Štaka.
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Meinungen

Christa · 16.08.2007

Zwar wohne ich in Deutschland, hatte aber das Glück, diesen Film in der Schweiz sehen zu können: Ich war völlig fasziniert und möchte meinen Freundinnen in Deutschland endlich auch diesen Film im Kino empfehlen können. Dieses Nebeneinander unterschiedlicher Lebensentwürfe und die Möglichkeit, auch aus festgefahrenen Bahnen ausbrechen zu können, wenn man sich aufrütteln lässt, ist auch über das ohnehin schon interessante Thema eines Lebens als Emigrant(in) hinaus bewegend.

Kroatin · 25.01.2007

bravo!! da habt ihr euch echt die muehe gemacht die namen richtig zu schreiben, auch mit akzenten und so, macht sonst keiner. werd mir den film auf alle faelle ankucken und meine mutter mitnehmen