Das blaue Zimmer

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Ein kleiner, großer Film

Der französische Schauspieler und Regisseur Mathieu Amalric hat den Roman Das blaue Zimmer von Georges Simenon zu einem kleinen, aber furiosen Film adaptiert. Nur 76 Minuten lang und im ungewöhnlichen, fast quadratischen 4:3-Format gedreht, erzählt er die Geschichte eines Mannes, der eine leidenschaftliche Affäre hat und unversehens zum Beschuldigten in einem Kriminalfall wird. Die dicht verschachtelte Narration wechselt ständig zwischen der Gegenwartsebene und subjektiv gefärbten Rückblenden. Dabei kreist die klaustrophobische, abgründige Geschichte um zwei große Themen: Ist eine aus purer, schrankenloser Leidenschaft bestehende Beziehung nicht an sich schon eine Sünde, die die Beteiligten ins Verderben zieht? Und lässt sich Wahrheit überhaupt rekonstruieren, in Polizeiverhören und vor Gericht, oder ist sie vielmehr Verhandlungssache, eine Frage des Glaubens, von Interpretation und Sympathie?

Julien Gahyde (Mathieu Amalric) hat eine Landmaschinen-Firma in einer Kleinstadt, in der er mit seiner Frau Delphine (Léa Drucker) und seiner Tochter wohnt. Die Ehe scheint glücklich zu sein, zumindest spielt Julien das seiner Frau während ein paar Urlaubstagen am Meer vor. Wie er lächelnd für ein Foto als liebender Gatte und Vater posiert, fröhlich mit Delphine im Meer badet, macht ihn dem Zuschauer nicht sympathisch. Er wirkt vielmehr abgebrüht, man kann ihm sogar diabolische Züge unterstellen — denn was man bereits über ihn weiß, lässt ihn nicht als guten Menschen erscheinen. Gleich zu Beginn des Films hört und sieht man Julien in dem blau tapezierten Hotelzimmer, das er für heimliche Treffen mit der Apothekerin Esther (Stéphanie Cléau) nutzt. Das leidenschaftliche Paar wechselt nur wenige Worte: Esther fragt Julien, ob er sich auch freimachen könnte, wenn sie plötzlich ungebunden wäre. Und man sieht Julien bei Verhören auf der Gendarmerie und beim Untersuchungsrichter (Laurent Poitrenaux). Minutiös wiederholen die Ermittler seine Worte, die Dialoge aus dem Hotelzimmer. Was Esther wohl gemeint habe, wird er gefragt, und ob er vorhatte, die Affäre zu beenden, als er kurz darauf mit der Familie ans Meer fuhr. Julien weiß es nicht, er fühlt sich von den Fragen attackiert, um seine Orientierung gebracht. Während sich nach und nach herauskristallisiert, dass es zwischen dem Liebestreffen und der Verhaftung Juliens zwei Tote gegeben hat, wachsen beim Zuschauer Zweifel an seiner Täterschaft. Denn er kooperiert, auch wenn er den Wissensdurst der Ermittler nicht versteht, er wirkt nicht kämpferisch, sondern fassungslos.

Indem sich Julien erinnert, ermittelt er quasi auch gegen sich selbst. Und urteilt über seine Schuld. Das Rätselraten, wer der Täter sein könnte, geht derweil bis zum Schluss weiter. Denn weder gibt die Zweierintimität des blauen Zimmers ihr Geheimnis preis, noch werden die Ermittler aus dem Umfeld und seinen Besonderheiten schlau. Die Dialoge und die Bilder entstammen oft verschiedenen Schauplätzen, wodurch sich bei aller Informationsdichte auch eine Distanz zum Betrachter aufbaut. Wie Julien selbst blickt auch der Zuschauer auf eine Vergangenheit, die etwas Entrücktes, fast Unwirkliches hat. Vielleicht war es nur das Begehren, das diese Erinnerungen zusammenhält, während die Ermittler akribisch in Details stochern, als würden sie die Nadel im Heuhaufen suchen. Der Gerichtssaal, in dem sich Julien und Esther auf der Anklagebank wiedertreffen, hat dann ebenfalls blaue Wände — wie der Himmel, die Ewigkeit.

Stéphanie Cléau, Amalrics Lebensgefährtin und seine Co-Autorin bei diesem Film, spielt Esther als undurchsichtige, angstfreie Femme fatale. Sie verkörpert auf eine dezente, perfekte Art das Objekt der Begierde, das in sich ruht und aus dem Hintergrund wirkt. Die Musik ist melancholisch, manchmal verkündet sie Unheil. Auch die kurz geschnittenen statischen Einstellungen wirken fatalistisch, spiegeln Juliens Grübeln darüber, wo er die Kontrolle über sein Leben verlor, worin seine Verantwortung bestand, als er noch ein Handelnder war. Der Schnitt diktiert bei aller Introspektion ein straffes Tempo, als kommentiere der Film den bitteren Inhalt mit einem maliziösen Lächeln.
 

Das blaue Zimmer

Der französische Schauspieler und Regisseur Mathieu Amalric hat den Roman „Das blaue Zimmer“ von Georges Simenon zu einem kleinen, aber furiosen Film adaptiert. Nur 76 Minuten lang und im ungewöhnlichen, fast quadratischen 4:3-Format gedreht, erzählt er die Geschichte eines Mannes, der eine leidenschaftliche Affäre hat und unversehens zum Beschuldigten in einem Kriminalfall wird.

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