Dark Touch

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Wenn Gefühle töten

Bösartige Kinder sind im Horrorkino ein alter Hut, wirken aber immer noch verstörend. Vor allem dann, wenn man sie in ein Szenario wirft, das um Urängste und psychologische Turbulenzen kreist. Zuletzt eindrücklich geschehen im österreichischen Familienalbtraum Ich seh, ich seh, in dem ein Brudergespann gegen seine vermeintlich falsche Mutter aufbegehrt. Das oft verwendete Motiv des evil child bemüht die französische Filmemacherin Marina de Van auch in ihrer ersten englischsprachigen Regiearbeit Dark Touch, die hierzulande bereits 2013 auf dem Fantasy Filmfest zu sehen war. Drei Jahre später findet das an Brian De Palmas Stephen-King-Adaption Carrie gemahnende Horrordrama nun seinen Weg auf den deutschen Heimkinomarkt, was durchaus zu begrüßen ist. Immerhin geht Dark Touch, im Gegensatz zu vielen anderen Genre-Werken, wirklich unter die Haut, da de Van Splatter-Einlagen und übernatürliche Geschehnisse mit einem aufwühlenden Thema verbindet.
Wer sich angesichts des klassischen Einstiegs – die elfjährige Niamh (Missy Keating) läuft des Nachts panisch durch Sturm und Regen – auf einen standardisierten Gruselstreifen einstellt, ist mit dem bisherigen Schaffen der Regisseurin wohl nicht vertraut. Schon der Selbstverstümmelungsschocker In My Skin und das Identitätsverwirrspiel Don’t Look Back – Schatten der Vergangenheit greifen Horror- bzw. Thriller-Versatzstücke auf, machen diese allerdings für Geschichten nutzbar, die man nicht als stromlinienförmig bezeichnen kann. De Van bleibt sich bei Dark Touch auch insofern treu, als dass sie körperliche und seelische Qualen abermals in den Mittelpunkt ihrer Handlung rückt.

In der bereits angerissenen Eröffnungssequenz flüchtet sich die verstörte Niamh – ‚Neve‘ ausgesprochen – in das Haus ihrer Nachbarn Nat (Marcella Plunkett) und Lucas (Padraic Delaney), wo sie nur wenig später von ihren Eltern Maud (Catherine Walker) und Henry (Richard Dormer) eingesammelt wird. Ein gespenstischer Auftakt, der die Vermutung nahelegt, dass sich das Mädchen vor seiner Mutter und seinem Vater fürchtet. Kurz darauf werden wir Zeuge eines beklemmenden Abendrituals, das Niamhs Angst mit einem Schlag begreifbar macht: Offenkundig wird sie regelmäßig von ihren Eltern missbraucht. Hat de Van dieses schreckliche Vergehen einmal angedeutet, überrumpelt sie den Zuschauer auch schon mit einer neuen Wendung. Denn plötzlich kommt es im Haus der Familie zu einem Blutbad, bei dem Maud und Henry durch herumwirbelnde Einrichtungsgegenstände getötet werden. Die Ermittler stehen vor einem Rätsel, zumal Niamh als einzige Überlebende – ihr kleiner Bruder stirbt in ihren Armen – keine überzeugende Erklärung für das Geschehene liefert. Nat und Lucas nehmen die Tochter ihrer Nachbarn kurzerhand bei sich auf und kümmern sich aufopferungsvoll um das vor Berührungen zurückschreckende Waisenkind. Nichtsdestotrotz kommt es unter ihrem Dach schon bald zu beunruhigenden Ereignissen.

Dark Touch bedient sich am Ideenfundus des Haunted-House-Films, macht aber keinen Hehl daraus, dass die mit telekinetischen Fähigkeiten ausgestattete Niamh Tod und Chaos heraufbeschwört. Immer dann, wenn Angst oder Wut das verschlossene Mädchen befallen, setzt es – nicht selten ungewollt – destruktive Kräfte frei und bringt sein Umfeld damit in Lebensgefahr. Obwohl de Van dieses Prinzip mehrfach wiederholt, nutzen sich die paranormalen Phänomene nur wenig ab. Handfeste Spannung baut etwa eine Szene auf, in der Niamh im Unterricht einen Anfall zu unterdrücken versucht. Wird es im Klassenzimmer zu einem ähnlichen Massaker kommen wie zuvor in ihrem Elternhaus, ist dabei die bange Frage, die dem Zuschauer die ganze Zeit im Kopf herumspukt.

Mehr als einmal setzt die Regisseurin blutige Nadelstiche. Und doch geht es ihr vor allem um die psychologischen Dimensionen ihres Horrordramas, das ganz besonders vom beklemmend-eindringlichen Spiel seiner Hauptdarstellerin zehrt. Da die Protagonistin nur selten mit ihrer Umwelt kommuniziert, ist die Tochter des irischen Sängers Ronan Keating die meiste Zeit auf ihre Mimik und Körpersprache zurückgeworfen, meistert diese Herausforderung allerdings mit Bravour. Leid und Unsicherheit spiegeln sich auf ihrem blassen Gesicht geradezu schmerzlich wider, sodass der Film seinem Betrachter trotz fehlender Erklärungen im Dialog einen tieferen Einblick in Niamhs Innenleben gewährt. Eigentlich harmlose Gesten und Handgriffe nehmen vor dem Auge der körperlich und seelisch verwundeten Hauptfigur bedrohliche Ausmaße an, womit de Van nachhaltig unterstreicht, wie groß die erlittenen Qualen sein müssen.

Der subjektive Blick und kleine, aber fatale Missverständnisse ebnen den Weg zu einem bitteren Finale, das einmal mehr an De Palmas Horrorklassiker Carrie erinnert. Das Drehbuch holpert dabei ein wenig vor sich hin. Und de Van versteigt sich etwas zu sehr in plakativen Bildern. Verstörend wirkt der Showdown aber trotzdem. Nicht zuletzt, weil die Regisseurin einen Aspekt betont, der leider allzu oft verdrängt wird: Eine Rückkehr zur Normalität ist für Missbrauchsopfer in vielen Fällen unmöglich.

Abschließend noch ein kleiner Sichtungstipp: Wer keine atmosphärischen Einbußen riskieren will, sollte die hölzern-sterile Synchronisation links liegen lassen und der Originalfassung den Vorzug geben.

Dark Touch

Bösartige Kinder sind im Horrorkino ein alter Hut, wirken aber immer noch verstörend. Vor allem dann, wenn man sie in ein Szenario wirft, das um Urängste und psychologische Turbulenzen kreist. Zuletzt eindrücklich geschehen im österreichischen Familienalbtraum „Ich seh, ich seh“, in dem ein Brudergespann gegen seine vermeintlich falsche Mutter aufbegehrt.
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