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Rob Lamberts „Cuck“ versetzt das Publikum direkt in den Kopf eines misogynen und rassistischen Arschlochs und armen Würstchens und macht keine Gefangenen in Sachen Fremdscham und Ekel. Eine filmische Erfahrung der besonderen Art.

Cuck (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Kopf eines Incels und Trump-Anhängers

Es gibt Filme, die sorgen für ein nahezu permanentes Gefühl des Unwohlseins, des aus der eigenen-Haut-Wollens, indem sie ihr Publikum direkt in die Lebens- und Traumwelt eines Protagonisten hineinversetzen, mit dem man selbst weder etwas zu tun hat noch etwas zu tun haben will. Rob Lamberts „Cuck“ ist genau so ein Film: Seine Studie eines Mannes, der sich selbst im Internet radikalisiert, bis er austickt und in Kampfmontur einen Amoklauf startet, zeichnet das Psychogramm eines Tätertypus, von dem man in letzter Zeit viel zu oft gehört hat.

Ronnie (beängstigend: Zachary Ray Sherman) ist Trump-Anhänger, Rassist und ein lupenreiner Incel (Involuntary Celibate), der vom Hass auf die multikulturelle und liberale Gesellschaft sowie auf Frauen angetrieben wird und dabei den blinden Fleck übersieht, den er selbst bildet. Denn die Ursachen für sein eigenes persönliches Elend und seine desolate Lebenssituation sind ungleich komplexer und durch schlichte Schuldzuweisungen nicht zu erklären. Doch Menschen wie er neigen zu einfachen Denkmustern und steigern sich immer weiter in ihren Hass hinein.

Ronnie ist ein aufgeschwemmter arbeitsloser Loser, der eher unfreiwillig für seine kranke Mutter (beinahe ebenso beängstigend: Sally Kirkland) sorgt und sich ansonsten zwischen freudlosem Masturbieren in seinem Junggesellenzimmer, Videobotschaften voller Wut und Hass auf die „Libtards“ und „Cucks“ und diffusen Rachefantasien bewegt. Er ist der Prototyp eines Mitglieds der verarmten weißen Mittelschicht Amerikas, die ihre Angst vor dem (eigentlich längst stattgefundenen) sozialen Abstieg durch Abgrenzung nach einem vermeintlichen „Unten“ und dem Wählen des Milliardärs Donald Trump als Erlöser und Hoffnungsträger kompensierten.

Rob Lambert nimmt sich eine ganze Weile Zeit um die desolate Situation Ronnies in aller quälenden Ausführlichkeit zu schildern. Die Einsamkeit, Verlorenheit und der unbestimmte Hass auf alles und jeden (vor allem — dies aber uneingestanden — auf sich selbst), die Ärmlichkeit und der verletzte Stolz eines Abgehängten scheint förmlich aus jeder Pore der Bilder und Szenen zu triefen — und diese emotionale Verwüstung macht Ronnie nicht gerade zu einem Sympathieträger, sondern viel eher zu einem Menschen, dessen Straucheln, Taumeln und Fallen man mit einem leichten Gefühl des Ekels betrachtet. Lambert gelingt das Kunststück, dennoch nicht voller Verachtung auf seine Filmfigur zu blicken. Egal, was Ronnie tut, es schwingt stets Mitleid und Abscheu mit, sympathisch ist er einem nie, aber er wird eben auch nie völlig dämonisiert, sondern erscheint stets als authentischer gegenwärtiger Beweis für die Banalität des Bösen, die nicht nur in den USA derzeit so häufig ihre hässliche Fratze zeigt.

Und so führt Ronnies Weg geradezu zwangsläufig immer weiter nach unten: Gescheiterte Jobinterviews und Online-Dates, die in der Realität in einem Desaster enden, ein mieser Aushilfsjob in einem Laden, der von einem „Araber“ geführt wird, die Bekanntschaft zu der Dream MILF Candy (Monique Parent), bei deren Pornodrehs für ihre Website er den gehörnten Ehemann (was in der Szene als „Cuck(old)“ bezeichnet wird, als genau jenen Ausdruck, mit dem Ronnie sonst die anderen Schlappschwänze tituliert, die er so sehr verachtet) geben darf — all das steigert Ronnies Wut und Verzweiflung immer mehr, bis sich die angestauten und von einem Alt-right-Anführer angestachelten destruktiven Gefühle schließlich in einem Amoklauf entladen, der befeuert wurde von Incel-Fantasie, rechtsradikalem Gedankengut und grenzenlosem (Selbst-)Hass. 

Schonungslos und direkt steigt Cuck direkt in die Tiefen einer vergifteten Seele und gibt Einblicke in eine Gefühlswelt, die an Martin Scorseses Taxi Driver und John McNaughtons Henry: Portrait of a Serial Killer erinnert. Wer die beiden Bezugsparameter kennt, ahnt schnell: Schön ist das nicht — aber bietet Einblick in den Abgrund, den man so schnell nicht vergisst. Dass der Film in den USA am gleichen Tag wie der kontrovers diskutierte Venedig-Gewinner Joker in die Kinos kommt, ist womöglich viel mehr als nur ein Zufall. Denn Typen wie Ronnie und der Joker in ihrer destruktiven Energie sind Zeichen der Zeiten — der eine als comichafte Übertreibung, der andere in all seiner realistischen Erbärmlichkeit.

Cuck (2019)

In der Einöde von Van Nuys, unter dem Dach seiner besitzergreifenden Mutter lebend, sucht Ronnie einen Ausweg aus seiner anonymen Existenz – als rechtsextremer Blogger auf Youtube. Vom verlorenen Jungen zum einsamen Amokschützen – „Make America Great Again“ könnte nicht schwärzer und nicht aktueller sein.

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