Cosmopolis

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Gegen die Wand gefahren

Es gehört zu den schönsten Momenten eines Filmfestivals, wenn Filme, die eigentlich wenig miteinander zu tun haben, in Beziehung zueinander treten, wenn sie beginnen zu korrespondieren, wenn sie sich gegenseitig zu kommentieren scheinen, wenn ein Thema, ein Bild sie verbindet. Dies ist dann einer der magischen Momente, den man nur auf einem Festival und nicht im Kino selbst erleben kann, wo der gezeigte Film immer nur für sich alleine steht. Auch David Cronenbergs mit großer Spannung erwarteter neuer Film Cosmopolis hatte bei seiner Premiere in Cannes solch einen Moment.
Und der verband ihn ausgerechnet mit dem mutmaßlich besten, ganz sicher aber ungewöhnlichsten und wagemutigsten Film des Festivaljahrgangs 2012, mit Leos Carax´ Holy Motors — darin lieht fast schon eine gewisse Ironie. Denn Cronenbergs Film war mit großen Hoffnungen in Cannes angetreten und hatte mit seinem Trailer einen regelrechten Vorab-Hype erlebt. Umso bitterer schmeckt nun die Ernüchterung, weil die Premiere diese Erwartungen samt und sonders nicht erfüllen konnte.

Cosmopolis basiert auf dem gleichnamigen Roman des amerikanischen Schriftstellers Don DeLillo und schilderte einen Tag aus dem Leben des ebenso reichen wie jungen Spekulanten Eric Packer (Robert Pattinson), der mit mysteriösen Investments ein unermessliches Vermögen zusammengerafft hat. Es sind die goldenen Tage der New Economy, doch die Zeichen mehren sich bereits, dass dem Vollrausch die Ernüchterung folgt. Auf den Straßen ist eine erhebliche Unruhe zu spüren, Gegner der Globalisierung portestieren gegen die wachsende Ungleichheit und Ungerechtigkeit, der amerikanische Präsident in der Stadt und irgendwo ist ein Killer unterwegs, der es auf den Politiker abgesehen hat. Oder auf Packer — so genau weiß man das nicht. Der Spekulant lässt sich von solchen Marginalien wenig beeindrucken, seine Weltsicht beruht auf der These, dass sich letztlich alles auf Zahlen und Muster herunterbrechen, berechnen und damit beherrschen lasse. Und so macht er sich auf den Weg durch die Stadt, um seinen Lieblingsfriseur aufzusuchen, weil er dringend einen Haarschnitt benötigt. Die Fahrt wird zu einer Odyssee durch die Stadt, die einer anderen Form der Hölle gleicht…

Zwar spielt die Romanvorlage zu Cosmopolis im Jahre 2000, doch man kann David Cronenbergs bittere Parabel über Gier und Unmenschlichkeit in der Finanzwelt ebenso gut und ohne große Mühe auf die Jetztzeit übertragen, was auch daran liegt, dass sich seit dem Zerplatzen der ersten großen Internet-Blase nicht wirklich etwas geändert hat. Cronenberg hält sich eng an die Romanvorlage — und vielleicht liegt ja genau hierin das Problem, das im Lauf des Films immer deutlicher zutage tritt: Obgleich das Thema ungeheuer spannend, die Figuren interessant, die Dialoge voller kluger Kommentare auf den ökonomisch geprägten Zeitgeist sind — so richtig mag das Ganze nicht zünden. Man versteht durchaus Cronenbergs Absicht, den Kosmos, durch den sich Eric Packer bewegt, so künstlich und steril zu gestalten, wie dies hier der Fall ist. Man begreift, dass die hermetische Trennung zwischen der Innenwelt der Stretchlimousine und der chaotischen Außenwelt bewusst so gehalten ist. Nur: Man fühlt nichts bei diesem Ritt durch die Hölle, bei diesen Einblicken in die Höllen, die der Menschen sein kann. Rein gar nichts.

Dass David Cronenbergs neuer Film nicht so richtig zündet, liegt nicht allein an Robert Pattinson. Auch wenn dieses Argument häufig zu hören ist — wahrer wird es auch durch ständige Wiederholungen nicht. Viel eher erreicht kaum einer der Darsteller (darunter auch große Mimen von unzweifelhafter Reputation wie Juliette Binoche und Paul Giamatti) jemals überzeugend wirken und so etwas wie Empathie hervorrufen. Ist dies alles Absicht oder haben sich die anderen Akteure vielleicht doch an die beschränkten mimischen Fähigkeiten des Twilight-Stars angepasst?

Das größte Problem dieses Filmes aber ist seine Geschwätzigkeit — und die erstaunt bei einem Kinomagier wie David Cronenberg dann doch ein wenig. Statt diese aus den Fuge geratene Welt zu zeigen, lässt der Regisseur seine Protagonisten vor allem darüber schwadronieren. Und zwar pausenlos, pseudoklug und von enervierender Penetranz. Bis man als Zuschauer gar nicht mehr richtig zuhören mag. Was umso bedauerlicher ist, weil der Film visuell so erschreckend wenig zu bieten hat.

Doch zurück zu der anfangs erwähnten Korrespondenz mit Holy Motors. An einer Stelle fragt Eric Packer, wo sich eigentlich die weißen Stretchlimousinen, die tagsüber wie helle Schatten durch die Städte gleich, nachts befinden? Die Reaktion des Publikums, das die Antwort dank Leos Carax´ Film kannte, war ein Auflachen. Später, nach dem Ende von Cronenbergs steriler Parabel auf die Finanzwelt, gesellte sich zu diesem Lachen noch die Erkenntnis hinzu, dass es nicht nur die Stretchlimousinen sind, die ihre eigentliche Heimat in der Garage von Holy Motors haben, sondern auch die Herzen der Zuschauer und die Magie des Kinos, die David Cronenberg dieses Mal schmerzlich vermissen lässt.

Cosmopolis

Es gehört zu den schönsten Momenten eines Filmfestivals, wenn Filme, die eigentlich wenig miteinander zu tun haben, in Beziehung zueinander treten, wenn sie beginnen zu korrespondieren, wenn sie sich gegenseitig zu kommentieren scheinen, wenn ein Thema, ein Bild sie verbindet. Dies ist dann einer der magischen Momente, den man nur auf einem Festival und nicht im Kino selbst erleben kann, wo der gezeigte Film immer nur für sich alleine steht. Auch David Cronenbergs mit großer Spannung erwarteter neuer Film „Cosmopolis“ hatte bei seiner Premiere in Cannes solch einen Moment.
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