Corridor

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Psychologie eines Hausflurs

Wer kennt das nicht? Immer dann, wenn man sich mit Absicht aus dem Trubel der Welt um einen herum zurückzieht, um sich ausschließlich auf ein persönliches Vorhaben zu konzentrieren, klopft natürlich gerade dann die Welt an und versucht einen scheinbar mit allen Mitteln daran zu hindern. Genau so ergeht es dem jungen Medizinstudenten Frank (Emil Johnsen), der Hauptfigur in Corridor, dem Kinoerstling von Johan Lundborg und Johan Storm, die sich beide sowohl für Drehbuch als auch Regie verantwortlich zeigen.
Der eigenbrötlerische Frank ist ein ehrgeiziger Student, der sich in aller Ruhe auf seine Examensprüfungen vorbereiten möchte, die in wenigen Tagen stattfinden. Bei ihm klopft die Welt immer wieder in Form der leicht merkwürdigen Lotte (Ylva Gallon) an seiner Wohnungstür. Diese wohnt in der Wohnung über Frank, hält ihn tagsüber mit ihrer Neugierde vom Lernen ab, nachts stören dann die Sexgeräusche von ihr und ihrem Freund Micke (Peter Stormare) Frank bei der nötigen Konzentration. Nachdem sich Lotte eines Tages um Frank kümmert, weil der von einem Unbekannten im Hausflur angegriffen wurde, lernen die beiden sich etwas besser kennen. Das reicht dann auch schon aus, um Micke rasend vor Eifersucht zu machen. Fortan ist Frank Micke ein Dorn im Auge und steht unter dessen genauester Beobachtung. Spätestens als Micke Lotte in deren Wohnung attackiert und Frank den Streit eine Etage tiefer mithört, bekommt Frank es mit der Angst zu tun. Vor allem, weil ab diesem Zeitpunkt keinerlei Geräusche mehr aus der Wohnung darüber vernehmbar sind.

Mit minimalen Mitteln entwickelt Corridor aus einer alltäglichen Situation einen Psychothriller, der ganz auf die Hauptfigur Frank abgestimmt ist. Als Zuschauer ist man sehr nah dran an ihm, so kann man besser seine Gefühlslagen und sein (Nicht)Wissen miterleben. Seine Figur ist eine etwas ungewohnte Kombination für eine männliche Hauptrolle, ist er doch ein asexueller Angsthase, der ganz das Gegenteil eines Machos ist. Man empfindet Mitleid mit ihm und seiner misslichen Lage. Dieses Mitleid wandelt sich allerdings in Unverständnis um, das in manchen Momenten bis hin zur Irritation reicht, da es während des Handlungsverlaufs immer schwieriger wird, sein zunehmend fahriges und sprunghaftes Verhalten nachzuvollziehen. Verhält er sich stellenweise so sonderbar aufgrund des Stresses der kommenden Prüfungen? Mischt er sich zu sehr in Lottes Angelegenheiten ein? Mischt er sich vielleicht auch zu wenig in Lottes Angelegenheiten ein, und sie ist wirklich in Gefahr? Frank ist als Hauptfigur der Charakter, der sich am konstantesten wandelt und entwickelt. Allerdings wird der für das Genre Psychothriller typische, weitläufige Spannungsbogen von Corridor zum größten Teil durch Franks Gegenspieler getragen, Micke. Peter Stormare gibt diesen Micke als den ultimativen Bösewicht: er besitzt den psychotisch verzweifelten Blick, ist kantig und unnahbar, unheimlich und unkontrollierbar cholerisch. Stormare verleiht dem Film eindeutig ein Vielfaches an Charakter. Wer sich jetzt wundert, wieso der große Peter Stormare in solch einer kleinen, schwedischen Produktion mitspielt, dem sei gesagt, dass Stormare der Onkel von Johan Storm ist, einem der beiden Regisseure. So sehr man sich über seine Rolle im Film zu Recht freuen mag, so sehr kann einfach nicht geleugnet werden, dass neben ihm alle anderen Spielenden etwas blass wirken.

Kommen wir zurück zu einem weiteren genretypischen Motiv des Psychothrillers, nämlich der Wahrnehmung von Frank: er versucht herauszufinden, was dabei Wahrheit und was Täuschung ist. Konsequent werden im Film immer mehr Realität und Halluzination vermischt. Das dauernde Kontrollieren, Nachforschen und zwanghafte Nachdenken spiegelt sich in der Kamera wieder, die zusammen mit Frank über die Wände seiner Wohnung und des Korridors wandert. Auffällig sind die verschnörkelten Muster auf den Tapeten und den Böden im Haus. Ebenso gewunden und verschlungen wie diese Muster kann man sich die Phantasie von Frank vorstellen, die vielleicht arge Spielchen mit ihm treibt. Corridor ist in jedem Fall ein Film, der sich die Zeit nimmt, Räume und Charaktere zu untersuchen, um damit eine dichte Atmosphäre zu erzeugen, deren Spannung dann immer weiter erhöht wird. Im Stile von US-amerikanischen Psychothrillern der 1970er-Jahre wird hier eine klaustrophobische Stimmung erzeugt, alleine schon durch den simplen Umstand, dass fast ausschließlich Interieurs abgefilmt sind und die Handlung sich auch fast nur dort abspielt (mit der Ausnahme einiger weniger Szenen an der Universität). Große Namen stehen auf der Liste der Vorbilder der beiden jungen Regisseure: offensichtlich haben sie sich an Hitchcock orientiert, was den Spannungsaufbau angeht, an Polanskis Vorliebe für isolierte Welten und an Tom Tykwers Art, Details zu filmen und zackig getaktet aneinander zu montieren.

Corridor gibt sich alle Mühe bei dem, was er vorhat. Er dekliniert sicher viele Regeln des Genres durch, keine Frage: die beiden Regisseure haben viele Filme gesehen. Der Film ist durchweg solide, leider will er aber im Endeffekt nicht wirklich zünden. Dazu fühlt er sich zu mechanisch konstruiert an und ist stellenweise zu hölzern gespielt. Das Schlimmste allerdings ist, dass er es nicht schafft, die Zuschauenden zu überraschen. Für Genrefans ist Corridor sicherlich einen Abend wert, alle anderen sollten sich eventuell nach Alternativen in der Abendgestaltung umsehen.

Corridor

Wer kennt das nicht? Immer dann, wenn man sich mit Absicht aus dem Trubel der Welt um einen herum zurückzieht, um sich ausschließlich auf ein persönliches Vorhaben zu konzentrieren, klopft natürlich gerade dann die Welt an und versucht einen scheinbar mit allen Mitteln daran zu hindern. Genau so ergeht es dem jungen Medizinstudenten Frank (Emil Johnsen), der Hauptfigur in „Corridor“, dem Kinoerstling von Johan Lundborg und Johan Storm, die sich beide sowohl für Drehbuch als auch Regie verantwortlich zeigen.
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