Compliance (2012)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Der Horror der Berechenbarkeit

Bei jedem Festival gibt es ein bis zwei Filme, die per stiller Post die Runde machen und vor Ort solch ein Momentum entwickeln, dass man weiß: hier kommt ein spannender Film, der es noch weit bringen wird. Und einer dieser Filme, die in Locarno dieses Jahr schon vorab gehypt werden, ist Craig Zobels Compliance.

Der Film beginnt mit dem Hinweis, dass die Ereignisse auf wahren Begebenheiten beruhen, eine Information, die im Nachhinein noch einmal doppelt so viel Unbehagen auslösen wird. Erzählt wird die Geschichte eines fatalen Spaßanrufes, der an einem stressigen Arbeitstag in einem Burgerladen eintrifft. Die völlig überforderte Managerin Sandra (Ann Dowd) bekommt einen Anruf eines Polizisten, der ihre junge Mitarbeiterin Becky (Dreama Walker) beschuldigt, eine Kundin bestohlen zu haben. Sandra soll Becky auf Bitten des Polizisten im Büro festhalten, bis die Polizei eintrifft. Natürlich gehorcht Sandra. Doch hier beginnt das perfide Spiel des Anrufers erst, denn seine Absichten reichen noch viel weiter. Durch eine geschickte Mischung aus Autorität, Drohungen, dem Verwirren seines Gegenüber und dem Loben, wenn etwas so gelaufen ist, wie er es wollte, gelingt es ihm die Situation immer weiter voran zu treiben. So bewegt er schließlich Sandra einen so genannten „strip search“ vorzunehmen, sprich Becky muss sich ihrer Kleider komplett entledigen, während Sandra sie durchsucht.

Das psychlogische Fundament von Compliance basiert auf dem Prinzip der Verantwortungsdiffusion und dem Milgram Experiment, zwei sehr funktionstüchtigen Arten Menschen zu extremen Handlungen zu bewegen. Und so bleibt es für Becky auch nicht dabei, dass sie ihrer Kleidung entledigt wird. Dies ist erst der Beginn des perversen Treibens, das für alle Beteiligten traumatisch enden wird.

Compliance ist eines der anstrengendsten, weil best funktionierendsten Psychodramas der letzten Jahre. Der Film ist, so viel kann man definitiv sagen, ein stark polarisierendes Werk. Nicht alle Zuschauer werden ihn bis zum Ende sehen können oder wollen. Für die, die es tun, wird es keinesfalls ein angenehmer Zeitvertreib sein. Der Film tut weh, man möchte nicht hinsehen und sollte es doch, denn die Frage des Gehorsams, die hier auf einer kleineren Ebene verhandelt wird, ist eine, die sich auch im Alltag sehr oft stellt. Die gleichen Mechanismen, die hier im Hinterzimmer eines Burgerladens durchgespielt werden, sind es auch, die in diktatorischen Regimen zum Tragen kommen. Daher ist Compliance nicht nur ein kleiner, schrecklicher Film. Seinen Horror bezieht er aus dem Umstand, dass jeder Zuschauer diese Mechanismen schon einmal erfahren hat und in keinem Fall glasklar sagen könnte, dass er oder sie in solch einer Situation anders handeln würden.

Es ist der Horror der Berechenbarkeit, das Wissen darum, wie manipulierbar wir alle sind, der diesem Film so viel Tiefgang gibt. Dieser Tatsache ins Auge zu sehen und sich dabei die Abgründe anzuschauen, ist hart – es in diesem Film zu versuchen aber lohnenswert.
 

Compliance (2012)

Bei jedem Festival gibt es ein bis zwei Filme, die per stiller Post die Runde machen und vor Ort solch ein Momentum entwickeln, dass man weiß: hier kommt ein spannender Film, der es noch weit bringen wird. Und einer dieser Filme, die in Locarno dieses Jahr schon vorab gehypt werden, ist Craig Zobels „Compliance“.

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