Cloclo und ich

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Cloclo war der Spitzname des 1978 verstorbenen französischen Chansonsängers Claude François, für den die Mutter des schweizerischen Filmemachers Stefano Knuchel schwärmte. Also betrachtete ihn auch der kleine Stefano als sein Idol. Er zog sich einen mit Pailletten verzierten Anzug an und trat als singender Cloclo auf, während seine Schwester Antonella und andere Mädchen als Clodettes mit ihm auf der Bühne tanzten.
Im Voice-Over erinnert sich Knuchel in dieser dokumentarischen Expedition in die eigene Kindheit, wie glücklich die Zeit in den 1970er Jahren war, als die Eltern mit ihren fünf Kindern in Genf lebten. Stefano und die Geschwister besuchten dort sogar die Schule, was sonst oft gar nicht der Fall war. Wiederholt mussten die Eltern Hals über Kopf das Weite suchen, weil eine Geschäftsidee, ein Motel- oder Gastronomiebetrieb scheiterte, weil der Vater irgendwann zum Betrüger wurde. Er verkaufte Besitztümer, die ihm nicht gehörten, landete 1981 in Frankreich im Gefängnis. Da war Stefano 15 Jahre alt und hatte eine Kindheit hinter sich, in der er ständig umziehen musste.

Für die Kamera legt sich der graubärtige Filmemacher wie einst als 15-Jähriger auf den Rücksitz eines Autos. Damals hatte er sich dort im Unterwegssein so geborgen gefühlt. Auf seiner Spurensuche in die schwierige Kindheit ist es ihm, wie er sagt, sehr wichtig, die Farben, Laute und Gerüche von früher wiederzufinden. Etwa die Begeisterung für bestimmte Sänger, die Faszination, die die Jukebox, der Walkman auf ihn ausübten, das unheimliche Gefühl der Entfremdung, das ihn mit seinem Bruder Fabio in einer spanischen Landschaft beschlich. Denn die Kinder fühlten sich meistens von der Außenwelt abgeschnitten an den Wohnsitzen, die ihre Eltern wählten. Sie zogen sich in unterschiedlichem Maße in eine Traumwelt zurück, die zwei von Stefanos Brüdern auch als Erwachsene nicht mehr verlassen wollen oder können.

Knuchel macht den Eltern keine Vorwürfe, er setzt sich vielmehr sehr differenziert mit deren Träumen und Illusionen auseinander. Denn für das Kind Stefano waren die Vorstellungen der Eltern ja nicht nur maßgebend, sondern auch schön. Mit viel Sinn für die Stimmung der 1960er und 1970er Jahre erzählt der Filmemacher vom geselligen Lebensstil der Eltern in der Tessiner Heimat. Knuchels Mutter spricht vor der Kamera, zum Teil äußern sich auch Geschwister und später im Film der alte Vater. Auch die Eltern waren Kinder ihrer Zeit, Glücksritter, die überall, in Spanien, in Frankreich eine neue Existenz aufbauen wollten und es oft sogar für eine Weile schafften. Als die Mutter nach der Trennung vom Vater ins Tessin zurückging mit Stefano und seinem jüngeren Bruder, arbeitete sie so viel, dass sich die Kinder wie früher selbst überlassen blieben. Stefano komponierte Lieder. Auch in diesem Film fungiert er als einer der drei Musikautoren.

Der Filmemacher lässt seiner in der einsamen Kindheit geschärften Fantasie hier freien Lauf. Er bebildert seine Expedition in die vergangene Zeit, als sie noch jung und verzaubert erschien, mit einer Fülle stilistischer Mittel. Zu Familienfotos gesellen sich Spielszenen, Gespräche, kleine Animationen, Filmausschnitte, Postkarten. Sie werden in flottem Tempo kombiniert, bunt verfremdet und ausgeschmückt, mit Musik unterlegt, während sich Knuchel sehr genau und niemals langweilig an Einzelheiten erinnert. Auch der humorvolle Ton seiner Erzählungen erweckt diese Leichtigkeit zum Leben, die er mit den Jahren der „Sorglosigkeit, der Flucht, der Träumerei“ seiner Familie verbindet. Sie bildet auf anrührende Weise ein Gleichgewicht zur Melancholie und zum Schmerz, in welche diese Selbsterforschung auch führt.

Stets behält der Filmemacher das innere Kind im Blick, seine Liebe zu den Eltern, seine sinnliche Wahrnehmung, seine unbeantworteten Fragen. Knuchel ist auch ein Staunender, der sich für das Wunder der Existenz begeistert und die Vergänglichkeit von Moden und Idealen reflektiert. Es liegt viel Wärme in dieser Betrachtung der schwierigen Familie und wenig Selbstmitleid, so dass dieser schöne Film sehr überzeugend wirkt in seiner Erkundung innerer und äußerer Realitäten.

Cloclo und ich

„Cloclo und ich“ bezeichnet Stefano Knuchel selbst und geht seiner eigenen, sehr durchwachsenen Familiengeschichte nach. Sein Vater war ein Kleinkrimineller, brachte die gesamte Familie ständig auf Flucht vor dem Gesetz, seine Mutter arbeitet als Bardame, die sich schließlich scheiden ließ und seine vier Geschwister taten sich alle mit dem Leben schwer. Ein Blick zurück in die Vergangenheit voller Drogen, Depressionen, Alkoholismus aber auch Abenteuern.
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