City of Ghosts

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Krieg der Bilder

Vieles, was wir von den Gräueltaten des IS in Syrien wissen, entstammt vor allem einer Quelle: der Aktivistengruppe Raqqa is being slaughtered silently (kurz: RBSS), einem anonymen Zusammenschluss von Bürgerjournalisten, die unter permanenter Lebensgefahr heimlich Fotos und Videos von Exekutionen und Folterungen und Berichte zu der allgemeinen Situation in der selbsternannten „Hauptstadt des Kalifats“ sammeln und diese auf verschlungenen Wegen außer Landes bringen. Der investigativ arbeitende Dokumentarfilmer Matthew Heineman, bislang vor allem mit seinem aufsehenerregenden und für einen Oscar nominierten Film Cartel Land über den Drogenkrieg in Mexiko in Erscheinung getreten, widmet sich in seinem neuesten Film der unglaublichen schwierig und heroischen Arbeit der Aktivisten und setzt ihnen damit ein Denkmal, das überaus bewegend geraten ist.

Dass Heineman den Aktivisten überhaupt so nahekommen kann, ohne deren Arbeit zu gefährden, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass ein Teil der Gruppe wegen der ständigen Todesdrohungen in die Türkei und nach Deutschland floh, um von dort aus die Publikationstätigkeit zu koordinieren. Zudem entschloss sich dieser Teil der Gruppe die eigene Identität offenzulegen und dadurch den vielen namenlosen Aktivisten in Syrien ein Gesicht zu verleihen. Ein Vorgehen, das aber gleichzeitig dafür sorgte, dass sie sich nun auch in Deutschland und der Türkei mit Mordaufrufen konfrontiert sehen. Und Naji Jerf, einer der Vordenker der Gruppe, wurde im Jahre 2015 in Gaziantep in der Türkei auf offener Straße ermordet.

Der Film beginnt mit der Verleihung des International Press Freedom Award, den Raqqa is being slaughtered silently im Jahre 2015 in New York erhielt. Dort lernen wir einige der Männer kennen, deren Weg Heineman später begleiten wird. Von den Anfängen der Gruppe, die im Wesentlichen aus Schulfreunden aus Raqqa bestand, während des Arabischen Frühlings und deren rasche Politisierung über die Eroberung der Stadt durch den IS im Jahr 2013 und die ersten Aktionen von RBSS reicht die Chronologie der ersten Zeit, mit der Heineman das Entstehen der Gruppe nachzeichnet. Dabei schont er den Zuschauer nicht, sondern zeigt die Bild- und Filmdokumente, die Raqqa is being slaughtered silently publiziert hat, in aller Deutlichkeit. Es sind Zeugnisse, die man nur schwer ertragen kann: Öffentliche Hinrichtungen, die Zurschaustellung von geköpften Leichnamen auf den Straßen und Plätzen der Stadt, die anderen Oppositionellen als Warnung dienen sollen, die schamlose Rekrutierung von Kindern, die fröhlich lachend den Gotteskriegern hinterherrennen – all das vermittelt eindrucksvoll, wie das alltägliche Leben unter dem IS tatsächlich jenseits der Propagandavideos der Fundamentalisten aussieht.

Später dann verändert sich der Fokus des Films: Weil Heineman jenen Mitgliedern folgt, die ins Ausland geflohen sind, konzentriert sich der Film mehr auf deren Verfassung, auf die Sorge um die Angehörigen, Freunde und Aktivisten, die noch in Raqqa geblieben sind, auf die alltägliche Konfrontation mit deren Berichten und auf die Arbeit, die sie nun vollbringen müssen, um die Öffentlichkeit mit dem Material zu versorgen und wachzurütteln. Dabei kommt es immer wieder zu erschütternden Szenen, wenn etwa zwei Mitglieder der Gruppe sich jenes IS-Propaganda-Video anschauen, das die Exekution ihres eigenen Vaters zeigt. Ebenso eine andere Szene, in der einer der Sprecher der Gruppe eine Panikattacke erleidet und man merkt, unter welch großem psychischen Druck die Aktivisten stehen. Und wenn eine Protestaktion der Gruppe in Berlin parallel zu einer Demonstration von Neonazis und Flüchtlingsgegner stattfindet, wird deutlich, wie wichtig die Aufklärungsarbeit der Gruppe ist.

Dabei ist Heinemans Film nicht ganz frei von Eingriffen, die manchmal ein wenig über das Ziel hinausschießen und verdeutlichen, wie sehr sich der Filmemacher auf die Seite der Mitglieder von Raqqa is being slaughtered silently geschlagen hat: Manchmal tendieren die Bilder ebenso wie die zum Einsatz gebrachte Musik zur Heroisierung der Aktivisten – Mittel, die der Film aufgrund seiner Thematik und seiner Protagonisten eigentlich nicht mehr benötigen würde. Außerdem unterbleiben kritische Nachfragen zur Verortung von RBSS, denn es gibt durchaus auch Vorwürfe gegen die Aktivisten, dass ihre Position im syrischen Bürgerkrieg keinesfalls so neutral wäre, wie dies vielfach behauptet wird.

Dennoch ist City of Ghosts ein eindrucksvolles Dokument über den Kampf einiger Aktivisten gegen einen übermächtig erscheinenden Gegner geworden. Ein Kampf, der einen enorm hohen Preis fordert, wie der RBSS-Sprecher Hussam Eesa vergangenes Jahr in einem Interview mit der BBC resümierte: „When we chose to work together against Daesh, documenting its abuses, we understood there would be casualties. However, it’s been worse than we expected. It is an inevitable price to be paid. So far we have lost 14 people – four group members and 10 friends and family members. Currently we have 18 inside Raqqa and 10 outside Raqqa.“

Der Kampf wird weitergehen. Und wie es um die Rückkehr der geflohenen RBSS-Mitglieder in ihre Heimat steht, ist nach wie vor ungewiss. Denn der IS ist zwar der größte Feind der Gruppe, aber keineswegs ihr einziger.
 

City of Ghosts

Vieles, was wir von den Gräueltaten des IS in Syrien wissen, entstammt vor allem einer Quelle: der Aktivistengruppe „Raqqa is being slaughtered silently“ (kurz: RBSS), einem anonymen Zusammenschluss von Bürgerjournalisten, die unter permanenter Lebensgefahr heimlich Fotos und Videos von Exekutionen und Folterungen und Berichte zu der allgemeinen Situation in der selbsternannten „Hauptstadt des Kalifats“ sammeln und diese auf verschlungenen Wegen außer Landes bringen.

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