Christoph Schlingensief – Die Piloten

Eine Filmkritik von Silvy Pommerenke

Charmant und dreist zugleich

Das Enfant terrible der deutschen Kulturlandschaft widmet sich zehn Jahre nach seiner Talkshowsatire Talk 2000 und seinem grandiosen Erfolg der Parsifal-Inszenierung in Bayreuth erneut dem Medium Fernsehen. Auch wenn von vornherein klar ist, dass diese Talkshow, die keine sein will, niemals im TV zu sehen sein wird. Schlingensief konterkariert mit seinem Format die Medienlandschaft, die mediale Selbstdarstellung von öffentlichen Personen und nicht zuletzt sich selbst. Die Regisseurin Cordula Kablitz-Post hat seine Kunstaktion auf Zelluloid gebannt.
Piloten sind Aufzeichnungen von Funk und Fernsehen, die – aus welchen Gründen auch immer – niemals gesendet werden. Christoph Schlingensief hat im letzten Jahr den Spieß einfach umgedreht, indem er gleich zu Beginn seinem Projekt den Untertitel eine Talkshow in 6 Folgen, die nie ausgestrahlt wird gab. Als Studio hatte er sich das Foyer der Akademie der Künste in Berlin ausgesucht, mit historischem Aus-Blick auf den Reichstag. Für seine prominenten und nichtprominenten Gäste ließ er eine Drehbühne anfertigen, auf der in kunterbunter Mischung Sitzgelegenheiten — vom ausrangierten Friseurstuhl bis hin zum zerfledderten Sessel — standen. Bei Schlingensief ist nichts, wie es sein sollte, jede Regel wird gebrochen, jede Konvention umgangen, und das macht den Mann so sympathisch und gleichzeitig unheimlich. Nie weiß man, ob er eine Lüge auftischt oder die Wahrheit spricht, und seine Studiogäste schwanken zwischen ehrlicher Nervosität und unbändiger Neugier: Wen wird er aufs Glatteis führen, in welcher Situation vergreift er sich im Ton und was heckt er als nächstes aus?

Zu seinen prominenten Gästen zählen Claudia Roth, Oskar Roehler, Rolf Hochhuth, Klaus Staeck, Hermann Nitsch, Lea Rosh, Katharina Schüttler, Rolf Zacher, Jürgen Fliege, Sido und Gotthilf Fischer. Sie treffen auf „unechte“ Prominente, deren Lebensgeschichten erfunden sind und die von einer Sekunde auf die andere zum Journalisten der Süddeutschen Zeitung (der selbstredend nicht genau weiß, für welches Ressort er schreibt) oder zum Mobbingopfer der Charité werden. Immer wird die Frage von Schein & Sein, von Lüge & Wahrheit aufgeworfen, die selbst gute Freunde nicht einwandfrei beantworten können. Beispielsweise thematisiert Schlingensief eine bei ihm diagnostizierte Augenkrankheit, und alle Studiogäste sind sich uneins, ob der böse Bube nun wirklich erkrankt ist, oder ob er wieder einmal eine seiner Märchengeschichten erzählt. Oskar Roehler beschäftigt diese Frage noch lange nach Show-Schluss und ist hin- und hergerissen, ob er nun schallend über die Dreistigkeit seines Freundes lachen, oder ob er emphatisch mit dem Erkrankten mitfühlen soll.

Nur einmal wird Schlingensief authentisch, wenn ihn seine Sorge um seinen todkranken Vater in Tränen ausbrechen lässt. Er flieht vor der Kamera, verlässt den Raum und anerkennt damit die Grenzen der öffentlichen Selbstausbeutung. Das ist ungekünstelte Emotion und nicht inszeniert, somit ist Schlingensief also auch ein Mann mit großen Gefühlen und Ängsten. Bezeichnend ist allerdings, dass er diese Szene – von insgesamt 120 Stunden Filmmaterial – in seine „Piloten“ mit einbaut und letztendlich mit dieser öffentlichen Selbstinszenierung doch wieder die aktuellen Casting- und Talkformate des Fernsehens in Frage stellt.

Der Film Christoph Schlingensief — Die Piloten gewährt ebenso einen Blick hinter die Kulissen der Talkshow, wie er Schlingensief ganz privat zeigt. Telefonate mit seinen Eltern, vor allem mit seinem Vater, gehören zu den sehr berührenden Momentaufnahmen dieses Dokumentarfilms, der alle Register zieht, die Filmschaffenden heutzutage zur Verfügung stehen. Abschließend lässt Schlingensief sein Moderationsverhalten und seine „mediale Selbstausbeutung“ vom Medientheoretiker Boris Groys analysieren. Selbstverständlich wird auch dies in aller Öffentlichkeit getan, denn darum geht es schließlich Schlingensief: „Unsterblichkeit durch die Medien zu erlangen, ist die Religion unserer Zeit.“ Was Schlingensief zur Zeit der Produktion noch nicht ahnen konnte, war seine erschütternde Diagnose zu Beginn des Jahres 2008. Wegen einer seltenen Krebserkrankung musste ihm ein Lungenflügel entfernt werden. Somit hat sein Diktum bezüglich der Unsterblichkeit von Menschen durch die Medien fast schon prophezeienden Charakter.

Charmant, dreist, amüsant und informativ.

Christoph Schlingensief – Die Piloten

Das Enfant terrible der deutschen Kulturlandschaft widmet sich zehn Jahre nach seiner Talkshowsatire „Talk 2000“ und seinem grandiosen Erfolg der Parsifal-Inszenierung in Bayreuth erneut dem Medium Fernsehen.
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