Chrigu

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Feuerwehrmann, Lastwagenfahrer, Politiker und später Regisseur lauten die Berufswünsche des jungen Schweizers Christian „Chrigu“ Ziörjen, die mit Fotos aus seiner Kindheit und Jugend zu Beginn dieser schmerzhaften Dokumentation illustriert werden. Schmerzhaft deshalb, weil der Regisseur, Kameramann und Protagonist dieses Films, den er gemeinsam mit seinem Freund Jan Gassmann realisiert hat, bald sterben wird. Es ist neben Aufnahmen aus vergangenen, unbeschwerten Tagen vor allem die letzte Lebenszeit des jungen Mannes, die Chrigu in Bildern von zutiefst berührender Authentizität aufzeichnet, nachdem dieser mit den Auswirkungen der vernichtenden Diagnose eines Ewing-Sarkoms in seinem Nacken lebt.
Wenn eine Person, die in nicht allzu ferner Zukunft mit ihrer Nichtexistenz in der irdischen Sphäre rechnen muss, eine filmende Kamera als häufige Begleitung ihrer spärlichen Restzeit wählt, ließe sich leicht eine bedeutende Botschaft erwarten, ein inszeniertes Vermächtnis an die posthume Welt. Es ist zweifellos die größte Stärke von Chrigu, dass auf eine pathetische Show und eine effektheischerische Fokussierung verzichtet wird, denn die ungeschminkten kleinen und großen Augenblicke im Leben des Sterbenden selbst stellen die Botschaft dieses Films dar, dessen Entstehung für Chrigu und seinen engsten Kreis von immenser Bedeutung war. Nichtsdestotrotz erhebt sich die Dokumentation aus ihrem privaten Rahmen mühelos auf ein abstrahierendes Territorium, das vor allem durch die moderne künstlerische Gestaltung des Filmmaterials entsteht.

Die Dramaturgie ist nicht chronologisch angelegt, sondern folgt atmosphärisch und nur scheinbar ungeordnet den Bildern aus Chrigus Leben, flankiert von den Klängen der Hip-Hopper „Mundartisten“, die mit ihm befreundet waren und auch visuell in Erscheinung treten. Dabei bilden die Sequenzen, in denen Christian an medizinische Gerätschaften angeschlossen in der Klinik zu sehen ist, den mahnenden roten Faden der gleichermaßen lebhaften wie mitunter erstarrenden Dokumentation, die sich erst gegen Ende der unvermeidlichen Abfolge der Ereignisse fügt. Bei Zeiten mutet Chrigu wie ein Roadmovie im Stile eines ausgedehnten Videoclips an, dann wieder herrscht die Bewegungslosigkeit des Unfassbaren, und es sind diese Brüche, die auf unspektakuläre Weise die Intensität des kurzen Lebens des Christian Ziörjen eindrucksvoll transportieren.

Eltern, Brüder, Freunde und nicht zuletzt die Schönheit der schweizerischen und auch indischen Natur, der Chrigu auf Reisen begegnete, erschaffen den sichtbaren Raum seines Abschieds, der zwischen Hoffnung und Resignation oszilliert und sich letztlich der existentiellen Schwäche anempfehlen muss. Dabei sind es vor allem die ambivalente Wucht der zwischenmenschlichen Verbindungen und der unauslotbare Abgrund zwischen Nähe und Distanz in dieser ganz besonderen Lebenssituation, die hier schonungslos dokumentiert werden. Dabei zeigt sich beklemmende Schwere ebenso wie schwerelose Stille und unbeschwerte Ausgelassenheit, entfaltet sich die grenzenlose Fülle eines so stark begrenzten Daseins in ihrer grausamen Faszination. Das ist trotz oder gerade wegen des authentischen Hintergrundes ganz großes Kino, das emotional wie künstlerisch berührt.

Chrigu wurde bei der Berlinale 2007 mit dem Preis der Ökonomischen Jury ausgezeichnet und erhielt unter anderem die Schweizer Kulturperle 2008, den Preis der Schweizer Filmkritik. In der Dokumentation betont Chrigu, wie wichtig es ihm ist, diesen Film zu machen, und nun, nachdem seine Asche längst in einem Gewässer gen Osten getrieben ist, wie er es verfügt hat, lief er bereits auf einigen Filmfestivals und erscheint jetzt hier auf DVD. Und ist wunderbar würdig geraten.

Chrigu

Feuerwehrmann, Lastwagenfahrer, Politiker und später Regisseur lauten die Berufswünsche des jungen Schweizers Christian „Chrigu“ Ziörjen, die mit Fotos aus seiner Kindheit und Jugend zu Beginn dieser schmerzhaften Dokumentation illustriert werden.
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